Die Welt der Kelten
und alle Speisen verweigert, so groß
war der Schmerz, der ihn verzehrte. Immer von Neuem ganz außer sich, füllte er mit lautem Klagegeschrei die Luft, dann entwich
er ungesehen in die Wälder. So hielt er seinen Einzug im Hain und war froh unter den Eschen verborgen zu liegen; und er staunte
über die wilden Tiere, die in den Lichtungen weideten. Bald lief er ihnen nach, bald eilte er ihnen voraus. Er nährte sich
von den wilden Kräutern und ihren Wurzeln, er genoss die Früchte der Bäume und die Beeren des Dickichts; er wurde ein Waldmensch,
gleichsam ein den Wäldern Geweihter.«
So durchstreifte Merlin die Wälder Kaledoniens im Süden Schottlands und tauchte manchmal wie ein Herr der Tiere aus ihnen
auf – etwa auf einem Hirsch reitend und ein ganzes Rudel der edlen Tiere anführend. Mehrmals wurde er zum Hof seines königlichen
Schwagers gebracht, an dem er durch seine Prophezeiungen berühmt wurde. Doch stets packte ihn die Scheu vor den Menschen,
worauf er sich in seiner Besessenheit in die wilde Natur zurückzog. Endlich entdeckte er eine wundersame Quelle, deren Wasser
ihn von seinem Wahnsinn heilte. Trotzdem blieb er als frommer Mann im Wald und lebte dort als Seher mit einigen Gleichgesinnten.
Heute weiß man, dass Geoffrey von Monmouth im 12. Jahrhundert nicht nur mit König Arthur das Vorbild des idealen Herrschers
schuf, sondern dass er auch mit Merlin einen Archetyp des Zauberers und weisen Mannes kreierte. Dessen Name ist seit Jahrhunderten
in aller Munde und gilt bekanntlich als Sinnbild des keltischen Druiden. Dabei entlehnte der gelehrte Geistliche für Merlins
vermeintliche Prophezeiungen viele Motive und Symbole aus mittelalterlichen Enzyklopädien und Chroniken. Sie sind letztendlich
eine »moderne« Erfindung Geoffreys. Die Figur des Magiers enthält dagegen so manches, das – ähnlich der Arthur-Gestalt – aus
keltischen Überlieferungen der Britischen Inseln stammt.
Dort erzählten walisische Annalen von einem Barden namens Myrddin, der um 575 an einer Schlacht zwischen keltischen Häuptlingen
im nordwestenglischen Cumbria teilnahm. Als er den Tod seines Fürsten mit ansehen musste, verlor der treue Dichter den Verstand
und streifte vom Wahnsinn umfangen im Land umher. Unter den schottischen Kelten kursierte schon bald die Sage von Lailoken,
dem »Wilden Mann«, wie sie ihn nannten. Die Waliser übernahmen diese Geschichte und gaben dem traurigen Wanderer den Namen
Myrddin. Jahrhunderte später hörte Geoffrey davon und passte ihn seinen lateinischen Texten an, indem er daraus Merlinus machte.
Inzwischen war die Gestalt des Barden und Sehers Myrddin in |161| Wales heimisch geworden und wurde mit vielen Orten und Ereignissen verbunden. Aus dem wahnsinnigen Waldmenschen und Seher
entwickelte sich immer mehr die Gestalt des Weisen und Zauberers, der schließlich Geoffrey zum Durchbruch verhalf.
Historisches ist bei Myrrdin/Merlin kaum greifbar. Es mag sein, dass sich um ein tatsächliches Ereignis des 6. Jahrhunderts
die Erzählungen und Dichtungen des Volkes und seiner Barden rankten. In ihnen vermischten sich alte Relikte mit der faszinierenden
Gestalt des Naturmenschen und späteren Magiers. Darum war die Kunstfigur Merlin kein Druide – obwohl sie uralte Motive aufgenommen
haben kann: Das Außer-sich-sein des Wahnsinns, das Wissen um die Natur mit ihren Pflanzen und Tieren, die Fähigkeit des Gestaltwandels,
das zweite Gesicht des Sehers verweisen bei beiden Merlin-Gestalten auf ferne keltische Quellen.
Der Gral und andere Zauberdinge
Die Welt Arthurs und seiner Tafelrunde bevölkern nicht nur rätselhafte Zauberer und Feen; sie ist auch geprägt von mysteriösen
Gegenständen wie dem Schwert Excalibur. Aber zum unübertroffenen Symbol des Geheimnisvollen und Mystischen wurde der Gral,
den man sich meistens als Schale, Kelch oder Edelstein vorstellte. Dabei ist das Wort wahrscheinlich lateinischer Herkunft
und bezeichnete ursprünglich nicht mehr als ein schlichtes Gefäß. Als heiliger Gral wurde daraus der Abendmahlskelch Christi
und damit ein christliches Symbol. Darüber hinaus gilt der von Geheimnissen umhüllte Gegenstand bis heute als Sinnbild des
Heils, der Erlösung und des dies- wie jenseitigen Glücks. Seit 800 Jahren bewegt die Suche nach dem Gral die Gemüter – in
der Literatur wie in der Realität. Denn nie wollte man sich damit abfinden, in ihm lediglich ein literarisches Motiv zu sehen.
Deshalb
Weitere Kostenlose Bücher