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Die Welt in mir (German Edition)

Die Welt in mir (German Edition)

Titel: Die Welt in mir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Neuberger
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auf mich gewartet
hatte, während Alex mich bei der Arbeit eingesammelt hatte. Erst später hatte
ich begriffen, dass er einen Schlüssel gehabt haben musste. Wie sie daran
gekommen waren, wollte ich lieber gar nicht wissen. Auch wenn es ein Eingriff
in meine Privatsphäre war, empfand ich es auch als tröstlich, dass vor allem
Josh jederzeit zu mir konnte. Dass er heute Abend geklopft hatte, war allerdings
mehr als ungewöhnlich.
    „Du musst dich nicht
entschuldigen. Ich werde das nächste Mal vorsichtiger sein und mich erst
vergewissern, wer vor der Tür steht“, bemerkte ich.
    Mit meiner Antwort war er allem
Anschein nach zufrieden und wirkte ein wenig beruhigt, wobei ich nicht genau wusste,
warum. Der Mann machte mich wahnsinnig, weil ich einfach keine Ahnung hatte,
was in ihm vorging. Vielleicht wurde es doch Zeit, mich an seine Gefühle in mir
heranzuwagen, auch auf die Gefahr hin, von Schmerz, weil er mich ablehnte,
überwältigt zu werden. Langsam, aber sicher erschien es mir allerdings vernünftiger,
mich darauf einzulassen als diese Unsicherheit, die ich gerade spürte. Manchmal
erschien es mir, als würde er es hassen, hier zu sein, weil er mich nicht
ertragen konnte. Dann keimte auch wieder Hoffnung in mir auf, weil er besorgt
wirkte.
    Ich schloss meine Augen und hörte
in mich hinein. Normalerweise war es kein Problem, mich von ihren Gefühlen
durchfluten zu lassen, aber diesmal hatte ich ein wenig Angst vor dem, was er
fühlte. Daher konzentrierte ich mich genau und versuchte mich nur ein wenig,
ganz minimal an seinen Einfluss in mir heranzutasten. Aus Angst, von seinen
Empfindungen überfallen zu werden und im schlimmsten Fall vor der Erkenntnis,
dass dort nur Abneigung war, wo zuvor Glück gewesen war, traute ich mich nicht,
loszulassen.
    Ähnlich wie beim Schwimmbad, bei
dem man die Wassertemperatur testen wollte und daher den großen Zeh ins Wasser
steckte, wollte auch ich nur einen kurzen, kleinen Einblick.
    Als ich seine Empfindungen in
mir lokalisierte, ließ ich einen Teil zu. Was ich fühlte, war alles andere, als
ich erwartet hatte. Ich spürte Unsicherheit und auch Trauer. Im ersten Moment
glaubte ich fast, es hätte nicht funktioniert, weil sich alles vertraut anfühlte.
So wie meine eigenen Empfindungen von Kummer und Schmerz. Doch als ich mich
erneut drauf konzentrierte, war ich mir bewusst, es war Joshs Einfluss und
nicht meiner. Nur dass er offenbar ähnlich Gefühle hegte wie ich. Daraus konnte
ich allerdings nicht ganz schlau werden. Warum war er unsicher und traurig?
Zwar hatte er bereits zuvor niedergeschlagen gewirkt, aber jetzt, wo ich dies
fühlte, konnte ich mir noch weniger einen Reim darauf machen als zuvor. Die
Trauer von ihm, die sich mit meiner eigenen mischte, vermochte mich beinahe zu
überwältigen. Ich schottete schnell seine Empfindungen wieder ab. Mit Sehnsucht
dachte ich an das Glück und den Frieden, den er mir sonst geschenkt hatte. Wo waren
diese Gefühle nur hin? Was war mit ihm los?
    Als ich meine Augen wieder
öffnete, bemerkte ich, wie Josh mich genau beobachtete. So, als hätte er gerne gewusst,
was in mir vorging. Doch sein durchdringender Blick brachte ihm offenbar keine
Antwort. Statt etwas zu sagen, schaute er einfach weg, und auch ich wusste
nicht, was ich sagen sollte. Ab und an unterhielten wir uns über das
Fernsehprogramm. Die sinnfreie Plauderei schaffte es wenigstens, die Stimmung
zwischen uns etwas zu lockern, auch wenn sie immer noch alles andere als
entspannt war.
    Am nächsten Morgen beschloss
ich, zur Arbeit zu gehen. Nachdem ich bereits am Freitag blaugemacht hatte, konnte
es so nicht weitergehen. Immerhin musste ich die Miete bezahlen. Außerdem hatte
ich langsam das Gefühl, mir würde die Decke auf den Kopf fallen. Daher war ich
ganz froh, als ich an meinem Schreibtisch saß. Meine Arbeit war mir zwar die
meiste Zeit verhasst, aber sie lenkte mich ein wenig von meinem Kummer und
meinen ständigen Gedanken an Josh ab.
    Als ich heute Morgen ins
Wohnzimmer gekommen war, hatte meine Kaffeetasse bereits auf dem Tisch
gestanden. Und als er mich später bis zur Tür des Bürogebäudes gebracht hatte,
sah er aus, als würde er zur Schlachtbank geführt werden. Er hatte mir mit
leiser Stimme einen schönen Tag gewünschte und verzog seinen Mund zu einem ganz
kleinen und zaghaften Lächeln, das fast nicht als solches zu erkennen gewesen war.
    Ich hatte nur genickt.
Vollkommen unfähig, was zu sagen, denn ich hatte krampfhaft versucht, nicht

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