Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
Vom Netzwerk:
aus Tibet. Er verließ mit 80 000 Anhängern seine Heimat, nachdem China die
     tibetanische Mönchsrepublik zerschlagen hatte. Doch rief er nicht zum Heiligen Krieg auf, die einzigartige, jahrhundertealte
     Kultur seines Landes gewaltsam zu verteidigen. Die Flüchtlinge ergriffen in der Krise die Chance, die klösterliche Isolation
     des tibetanischen Buddhismus aufzubrechen. Zahllose buddhistische Zentren entstanden seitdem in Japan, Australien, Amerika
     und Europa, die sich dem Dialog der Kulturen verpflichten. Getragen von der Überzeugung, dass die universale Buddha-Natur
     allen Menschen gemeinsam sei. Dabei sieht der Dalai Lama gerade in der Verschiedenheit der Religionen ein notwendiges Mittel
     der kulturellen Entwicklung. Es könne darum gar nicht erstrebenswert sein, betont er ständig, eine einzige Theorie der Welterklärung
     als verbindlich für alle zu erklären. »Da aber Liebe wesentlich für alle Religionen ist, könnte man von einer universalen
     Religion der Liebe sprechen. Hinsichtlich der Methoden zur Entwicklung der Liebe und zur Erlangung des Heils oder permanenter
     Befreiung unterscheiden sich die Religionen jedoch voneinander. ... Die Tatsache, dass es so viele Darstellungen des Weges
     gibt, ist ein Reichtum.« Weil auch ich daran glaube, stehe ich hier an meinem Schreibpult.

80
    115
    80
    115
    false
|80| Judentum: Tora-Liebe
    An zwei Bücher meiner Kindheit erinnere ich mich. Das eine war der bunte »Struwwelpeter«. So bunt, dass ich das Blut des Daumenlutscherbubs
     fließen sehen konnte: »Schwups, da kommt der Schneider mit der Scher und schneidt den Daumen ab, als ob Papier es wär.« Der
     Daumenlutscher, das war ich. Das andere Buch, in dem ich mich wiederfand, war die Bilderbibel, in Schwarz-Weiß, mit den Kupferstichen
     des Schnorr von Carolsfeld.
    Ich sehe Isaak gefesselt auf dem Opferaltar, schon hebt Abraham sein Messer, doch der Engel tritt dazwischen und spricht:
     »Dies Kind soll unverletzet sein!« In einer Mischung aus Faszination und Grauen betrachtete ich damals diese Szene und sehe
     noch jetzt, beim Schreiben, das Bild gestochen scharf vor mir, in allen Einzelheiten. Rechts das Gebüsch, in dem sich ein
     gehörnter Widder verfangen hat, darüber, gewaltig vom Himmel kommend, der rettende Engel. Natürlich taucht auch David in meiner
     Erinnerung auf. Der Hirtenjunge schwenkt das abgetrennte Haupt des Riesen triumphierend himmelwärts, David gegen Goliath,
     welch ein ungleicher Kampf. Ich bin dabei, wenn Israel, angeführt von Moses, das Rote Meer durchschreitet und sehe über seinen
     Verfolgern die Wassermauern zusammenbrechen. Alles in Schwarz-Weiß, aber nicht minder eindringlich wie der Struwwelpeter und
     weitaus realer als die Schlote der »Ruhrchemie«, zwischen denen ich aufwuchs und die ihren blauroten Dampf in den ewig rußenden
     Himmel meiner Kindheit qualmten. Rettungsgeschichten wie aus dem Familienalbum, die sich mir einprägten. Niemand sagte mir,
     dass meine Bilderbibel die Familienchronik des jüdischen Volkes war.
    Viel später erst, als ich schon erwachsen war und an der Universität studierte, wurde mir das Judentum in seiner Andersartigkeit
     bewusst, als kritisches Gegenüber. Ich hatte von Hitlers Verbrechen am jüdischen Volk erfahren, fühlte mich verstört und schuldlos-mitschuldig.
     Wie hatte das alles nur geschehen können? Wie passte das alles zu den Bildern meiner Kindheit? Ich hatte Glück. |81| Mein Professor rezitierte die Hebräische Bibel mit dem Charisma der alten jüdischen Gottesmänner, löwengleich grollend, und
     wieder hatte ich die Erzählungen der Bibel leibhaftig vor Augen, dieses Mal in den Worten der Propheten Jesaja und Amos: »Wenn
     ihr zu mir betet, mach ich die Augen zu, wenn ihr noch so viel betet, hör ich nicht hin. An euren Fingern klebt ja Blut!«
     Und: »Ich |82| hasse, ich verabscheue eure Feste, eure Zusammenkünfte kann ich nicht riechen – eure Opfergaben nehme ich nicht an, euren
     Dank schenke ich mir, eure Feiertagsmusik mag ich nicht hören. Recht soll vielmehr wogen wie Wasser, Gerechtigkeit wie ein
     nie versiegender Strom!«
    Gewaltig vom Himmel kommend, der rettende Engel.
    »An euren Fingern klebt ja Blut!« – Israels oppositionelle Propheten trotzten der Königsmacht.
    |82| Die Bibel erzählt Israels Geschichte
    Stellen wir uns vor, wie ein jüdischer Vater seinem Sohn die Geschichte des jüdischen Volkes erklärt: anhand der Bibel, vielleicht
     in Amsterdam, vor 300 Jahren. Die 300

Weitere Kostenlose Bücher