Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
schweren japanischen Bambusbogen erlernt der Schüler die Absichtslosigkeit, die Ichlosigkeit,
durch die er schließlich alle bewusste Anstrengung vergisst. »Beim Bogenschießen ist der gute Schütze der, welcher die Scheibe
trifft, ohne vorher zu zielen«, sagt Tschuangtse. Der perfekte Schuss löst sich »wie Schnee, der von einem Bambusblatt rutscht«.
Gelingt ihm das, wird der Schüler eins mit der universalen Buddha-Natur, der großen Leere. Pfeil, Schütze und Ziel verschmelzen
zu einer Einheit, in der es kein Hier und Dort, kein Ich und Mich mehr gibt. »Verstehen Sie jetzt«, fragte der Zen-Meister
seinen Schüler Herrigel nach einem besonders gelungenen Schuss, »was es bedeutet, ›Es‹ schießt, ›Es‹ trifft?« Durch die Leerheit
findet der Pfeil des Meisters sogar in völliger Dunkelheit sein Ziel.
Zen-Meister Dogen liebte den Vers: »Hör, Buddhas Zunge, auf dem Fluss in den Tiefen, der Berge Wölbung ist seine reine Gestalt.
Nachts lauschte ich zahllosen Sutras, die riefen, wie nur erzähle ich andern von ihrer Gewalt?« Worte tun es nicht im Zen.
Satori, Erleuchtung, geschieht in der wortlosen, dinglosen Berührung von Geist zu Geist. Im Buddha, der allein wirklich ist:
Erleuchtung ist nichts, womit du dich abquälen musst! Mehrere Leben lang! Satori ist einfach, denn sie ist immer schon geschehen.
Wir müssen ihrer nur inne werden. Unserer Buddha-Natur. Spontan. Augenblicklich. Satori im entleerten Ich, durch einen Blitzstrahl
der plötzlichen Einsicht.
Jodo-Shin, ein protestantischer Buddhismus
Auf sehr merkwürdigem Weg kam Buddha ins Land der aufgehenden Sonne, tausend Jahre nach seinem Nirwana – nämlich zuerst als
Statue.
Eine koreanische Gesandtschaft überbrachte im Jahr 538 den fälligen Tribut, und darunter befanden sich in diesem Jahr kostbare
Sutra-Abschriften, Ritualgeräte und eben auch eine Buddha-Statue. Damit begann die Geschichte des Erleuchteten im Inselreich.
Eine Generation später erklärte Prinz Shotoku den Buddhismus zur offiziellen Religion. Der Prinz selbst verfasste Sutra-Kommentare,
und nahe der kaiserlichen Stadt Nara errichtete er einen Tempel – die älteste erhaltene Holzarchitektur der Welt. Zuerst eine
reine Klosterreligion, zogen später immer häufiger |74| Mönche predigend durchs Land. Sie durchwanderten Dörfer und Städte und gewannen die Herzen der Leute für Buddha, den Erbarmer.
Am nachhaltigsten wirkte die Lehre Shinrans, eines Zeitgenossen von Dogen, dem Zen-Meister. Auf Shinran geht die heute größte
buddhistische Glaubensgemeinschaft in Japan zurück: der Jodo-Shin-, oder der Shin-Buddhismus.
Shinran erwählte unter den zahllosen Buddha-Gestalten den Amida. Manche hielten Amida für eine Inkarnation des historischen
Buddha. Die Japaner nannten ihn »Buddha des Westens.« Und dort tauchte tatsächlich sein Name zum ersten Mal in den Sutras
auf. Vom Nordwesten Indiens aus gelangte er mit den missionierenden Mönchen nach Zentralasien, wo Amida unter iranischem Einfluss
zum Herrn des »Reinen Landes« wurde.
Das indische Nirwana war für die Völker Asiens ein viel zu entlegenes Heilsgut. Wie konnten sie hoffen, das große Erlöschen
zu finden? Eine Wiedergeburt im Reinen Land verbesserte die Chancen. Das »Paradies des Westens« war im Hier und Jetzt schon
zu besuchen, man sah es in goldenes Licht getaucht mit seinen Juwelen, Blumen und Vögeln: eine wahrhaft paradiesische Zuflucht,
in der allen Geschöpfen das Herz voll Liebe füreinander war. Und der |75| Herr des Reinen Landes, Amida, hatte geschworen, alle Menschen in sein Reines Land hinüberzuretten. Von dort war es dann nicht
mehr weit bis zum Nirwana. Der sicherste Weg, Eingang ins Paradies des Westens zu gewinnen, war also das verdienstvolle, Amida
geweihte Leben.
|74|
Buddhistischer Tempel bei Nara (Japan).
|75| Punya, die Praxis, Verdienste zu sammeln, begleitete die Geschichte des Buddhismus von Beginn an und blieb bis heute ein wichtiger
Aspekt des religiösen Lebens. Verdienstlich war schon ein ehrsames Leben. Durch besonders gute Werke konnte jedoch ein Mehrwert
an Verdiensten, an zinsbringendem Kapital, zurückgelegt werden. Einem Mönch die Reisschale füllen, der Lehre lauschen, dem
Sangha-Kloster spenden – alle guten Taten zahlten sich irgendwann aus.
Nach Buddhas Paranirwana wurde seine Asche unter verschiedene Fürstentümer verteilt, die kostbaren Reliquien barg man in Schreinen,
errichtete ihnen Grabhügel,
Weitere Kostenlose Bücher