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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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Stammesgenossen und wurde wie diese sesshaft. So ungefähr sehen es Historiker heute.
    Ihre Nachkommen wird man unter den Stämmen des Nordreichs vermuten dürfen. Zum Beispiel im Stamm Josef, der ebenfalls zu den
     verschollenen Stämmen des Nordens gehört. Haben die Rückkehrer aus Babylon noch Überlebende des Stammes angetroffen? Haben
     diese möglicherweise den Jerusalemer Schreibern ihre Moses-Tradition weitergegeben? Möglich ist es. Vielleicht war darunter
     schon die Geschichte von der Rettung des Kindes im Schilfkörbchen, Moses Begegnung mit dem Engel im brennenden Dornbusch,
     Erzählungen von der Wüstenwanderung zum Wallfahrtsort auf dem Sinai, wo Moses seinen Leuten Jahwes Rechtssatzungen verkündete.
     Gab es im Josef-Stamm schon die Überlieferung, die von seinem einsamen Tod in den Bergen jenseits des Jordans wusste? Auf
     solchen Wegen könnte Moses zu Esra gekommen sein, doch das ist meine persönliche Mutmaßung, mehr nicht.
    Die Weisungen der Tora
    Genau 613 Gebote beziehungsweise Verbote sind es, die das jüdische Leben bestimmen. Das Rabbinat hat sie in mühseliger Kleinarbeit
     aus den »Büchern Moses« herausgefiltert. Kein Mensch vermöchte sie allesamt einzuhalten. Die Vorschriften regulieren den Alltag
     der orthodoxen Juden bis ins winzige Detail. In den
Jüdischen Witzen
, die Salcia Landmann gesammelt hat, seufzt Joel: »Ein Glück, dass Moses eine schwere Zunge hatte: er hätte sonst noch wer
     weiß wie viele Gebote dazuerfunden!« In Jerusalem existiert eigens ein »Institut für Wissenschaft und Halacha«, für Religionsvorschriften,
     das Handys, Klimaanlagen |110| und automatische Türen entwickelt, die auch ein gläubiger Jude am Sabbat benutzen darf. Denn eins der rabbinischen Sabbatgebote
     untersagt die Verwendung von Feuer am Ruhetag. Und in jedem elektronisch gesteuerten Gebrauchsgegenstand fließt nun mal Spannung,
     also »Feuer« – da lässt man es besser, am Sabbat im Internet zu surfen.
    Es war aber nicht Moses, wie Joel meint, der die 613 Gebote seinem Volk auferlegte. Schriftgelehrte haben sie im und nach
     dem Exil formuliert. Was sich davon auf Moses persönlich zurückführen lässt, ist seit Spinozas Tagen eine offene Frage geblieben.
     Allenfalls eine Hand voll Gebote steht mit Moses selbst im Zusammenhang, sogar die klassischen »Zehn Gebote« in ihrer heutigen
     Form sind eine Schöpfung von jüngeren Schriftgelehrten.
    Zwei dieser späteren Weisungen bekamen in Babylon eine exemplarische Bedeutung: die Sabbatvorschrift und das Gebot der Beschneidung.
     Sie begegnen uns beide schon im ältesten Israel, waren aber noch nicht eindeutig festgeschrieben. Jetzt, im Exil, grenzten
     Sabbat und Beschneidung die Juden von den Völkern des Zweistromlands ab. Sie wurden zum Ausweis ihrer nationalen Zugehörigkeit
     zum Gottesvolk.
    Anders als in Ägypten, Phönizien und Syrien war in Mesopotamien die Beschneidung unbekannt. Dabei ist sie ein Brauch, der
     weltweit anzutreffen ist. Selbst an Moorleichen der Stein- und Bronzezeit fand man Spuren der Beschneidung, an männlichen
     wie an weiblichen Leichen. In Israel war sie ausschließlich auf das männliche Geschlecht beschränkt und wurde nun auf Moses
     als höchste Gesetzesautorität zurückgeführt. Die Legende will sogar wissen, er sei bereits beschnitten zur Welt gekommen,
     ein Beleg für den absoluten Stellenwert, den man dem Ritual beimaß.
    Beschneidung ist Verwandlung, sie macht Naturmenschen zu Kulturwesen. So gehört sie zu den endlosen Versuchen der Religionen,
     den Menschen »passend« zu machen, was er von Natur aus nicht ist. Eroberer versuchten immer wieder, den Juden das Ritual zu
     untersagen. Regelmäßig sind sie damit gescheitert. Gesetzestreue Juden nahmen lieber den Tod auf sich, als ihre jüdische Identität
     zu verlieren.
    Diese verbürgt auch das Sabbatgebot, das den siebten Tag jeder Woche zum Tag der Begegnung mit Jahwe macht. Das Gebot scheint
     jüdischen Ursprungs zu sein, jedenfalls fanden Völkerkundler in der nichtjüdischen Umwelt Israels bisher kein vergleichbares
     Gesetz. Abermals sehe ich darin den Versuch, eine Passform für den Menschen zu finden, indem die Religion die Naturzeit in
     Kulturzeit überführt. Und das geschieht nirgends so strikt wie in Israel. Auch für |111| ihren Sabbat waren Juden bereit, in den Tod zu gehen. Die Rabbiner lehrten sogar, wenn ganz Israel nur einmal den Sabbattag
     gänzlich heiligen würde, hätte es die Erlösung gewonnen.
    Wie aber

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