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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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einen muskelbepackten Titanen erwartet.
    »Hallo, ich bin Fred.« Er streckte ihr eine Hand hin und hielt mit der anderen sein Handtuch zusammen.
    »Hallo, ich bin Doro«, sagte sie und sah schnell weg aus Angst, das Handtuch könnte ihm entgleiten.
    Der rote Fred, wie sie ihn nannten, spielte klassische Gitarre und hatte gelegentlich Übernachtungsbesuch von einer Freundin, die genauso dünn und blass war wie er, mit einem schlammfarbenen Kurzhaarschnitt. Marcus sagte, sie seien beide Althusserianer, und Doro nickte, obwohl sie keine Ahnung hatte, wovon er sprach, aber sie stellte sich vor, dass es mit Schimmel oder Schlamm zu tun hatte. So oder so, Doro war verliebt – nicht nur in Marcus, sondern in das ganze schlammige, schimmlige Arrangement, die fleckigen Laken, die selbstgedrehten Zigaretten, den dünnen Tee und den verbrannten Toast, die stundenlangen Gespräche, die ohne Überleitung in Sex übergingen und dann wieder in Gespräche.
    Als Marcus herausfand, dass sie keine Revolutionärin, sondern Soziologiestudentin war, schien es ihm nichts auszumachen. Ein paar Monate später, als sie ihren Abschluss in der Tasche hatte und ihre erste Halbzeitstelle als Lehrerin für Geisteswissenschaften anfing, zog sie bei ihm ein und überließ die Wohnung in Islington Pete Lafferty und Moira, die binnensechs Monaten heirateten und sich wieder trennten. Als Moira wieder Single war, zog auch sie in das Haus in Hampstead ein, wo sie zeitweise das Zimmer neben dem roten Fred bewohnte, das einem Studenten gehörte, der gerade ein Jahr an der Sorbonne verbrachte. Der Hausbesitzer war ein brasilianischer Akademiker, der 1963 nach Hause zurückgekehrt war, ohne irgendwelche Vorkehrungen wegen der Mietzahlungen zu treffen. Es zahlte also keiner Miete, aber das Haus kam immer mehr herunter. Kein Fenster ließ sich mehr richtig schließen, in Freds Zimmer bog sich die Decke unter dem Gewicht von Marcus’ Ziegelsteinen und Büchern, und der Schimmel im Bad, der den Mörtel zwischen den Fliesen und um Waschbecken und Badewanne schwarz färbte, begann die Decke zu überwuchern. Moira, die mit Kräutershampoos und Spülungen Stunden im Bad zubrachte, tat ihr Bestes, den Schimmel mit einer in Chlor getauchten Zahnbürste in Schach zu halten, doch sie kämpfte auf verlorenem Posten.
    Weil keiner Miete zahlen musste, zog nie jemand aus, aber immer mehr Leute zogen ein. Als der Student, dessen Zimmer Moira belegte, mit seiner französischen Freundin zurückkam, entstand eine Unterbringungskrise, die sich zu einem handfesten Streit auswuchs. Moira weigerte sich auszuziehen. Das Paar legte eine Matratze auf den Boden und zog zu ihr ins Zimmer, wahrscheinlich weil sie davon ausgingen, dass sie Moira mit ihrem lautstarken Liebesleben vertreiben würden. Auch Doro versuchte Moira zum Ausziehen zu überreden, doch stattdessen setzte es sich Moira zum Ziel, den Studenten rumzukriegen und die Französin zu ersetzen. Als sie damit scheiterte (und Doro vermutete, dass sie es auch bei Fred und Marcus versucht hatte), begann Moira eine Abfolge von Freiwilligen zu rekrutieren, um liebestechnisch aufzurüsten. In die Schlangen vor dem Badezimmer reihten sich leicht verunsicherte nackte Kerle ein, die nicht genau wussten, warum sie hier waren, aber eine vage Ahnung hatten, dass es nicht nurum Sex ging. Auch die Brasilianer im Erdgeschoss, Freunde von Freunden des ursprünglichen Brasilianers, schienen sich an Zahl und Lautstärke zu vervielfachen. Das Klo musste inzwischen mit einem Eimer gespült werden, weil aufgrund der erhöhten Belastung der Spülmechanismus den Geist aufgegeben hatte.
    Eines Nachts um kurz nach elf, als alle im Bett lagen und im ganzen Haus Schreie, Seufzer, Stöhnen, Keuchen, dumpfes Poltern, Wummern, Gitarrenmusik und Bossa Nova widerhallten, bemerkte Doro ein neues Geräusch, ein leises Knarren, das aus dem Boden in der Ecke ihres Dachbodenzimmers zu kommen schien. Marcus war nach einer besonders lebhaften Liebeshalbestunde eingeschlafen. Sie stand auf, um nach dem Rechten zu sehen. Als sie behutsam den nackten Fuß auf den Boden setzte, spürte sie, wie die Dielen unter dem Linoleum leicht nachgaben. Der Eindruck war seltsam genug, um sie innehalten zu lassen. Dann wurde aus dem Knarren ein Ächzen, und plötzlich begann der Boden wegzurutschen. Sie hielt sich am Türrahmen fest, um nicht mitgerissen zu werden, und sah voller Grauen zu, wie sich zwischen Wand und Boden ein riesiger Schlund auftat, durch den eine Tonne

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