Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
Ziegelsteine, Bücher und Bretter in den Raum unter ihnen donnerte.
»Was zum H ...!«, hörte sie Freds Schrei, und ein gedämpftes Quieken von der Althusserianerin. Dann war es still.
Marcus, inzwischen hellwach, packte Doro und zog sie weg von dem Loch, dann rannten beide nach unten, wo Fred und das Mädchen unter den schlammfarbenen, mit Büchern bedeckten Laken zappelten (die Ziegelsteine und Bretter waren glücklicherweise hauptsächlich an der Wand am anderen Ende heruntergekommen), ein Durcheinander von bleichen nackten Gliedern und verwuscheltem schlammfarbenem Haar, während sie zu begreifen versuchten, was passiert war. Das Mädchen entdeckte einen blutigen Kratzer an ihrem Bein und begannzu weinen. Doro setzte sich auf die Bettkante und nahm sie in den Arm.
»Das ist gar nichts im Vergleich zu dem, was bei der Revolution passieren wird, Schwester.«
Nach dem Einsturz von Freds Decke/Marcus’ Fußboden wurde die Unterbringungskrise akut. Marcus und Doro zerrten ihre Matratze nach unten in die feuchte Küche im Untergeschoss, den einzigen verfügbaren Raum, und wachten jeden Morgen davon auf, dass die anderen Bewohner über sie hinwegstiegen, um Frühstück zu machen. Bei Tee, verbranntem Toast und klumpigem Porridge am Küchentisch entstand die Vision eines Orts, an dem sie alle in einer nicht-bürgerlichen, nicht-privaten, nicht-nuklearen, nicht-monogamen Gemeinschaft zusammenleben würden, wo sie die Theorie in die Praxis umsetzen und sich mit dem Volk verbrüdern würden; einer Gemeinschaft, die auf Marxismus, Vegetarismus, Gewaltfreiheit, Rivalitätsfreiheit, Kreativität, Kollektivbesitz, selbstgezogenem Gemüse, freier Liebe, althusserianischen Ideen (optional) und der Ablehnung stereotyper Geschlechterrollen (d. h. keine Hausarbeit) beruhte; eines Orts, der mit Muschellampen und Blumentopfhaltern aus Makramee dekoriert wäre, wo alles geteilt würde, jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.
Doro seufzt. Es war ein Abenteuer, und wenn sie noch einmal vor die Wahl gestellt wäre, würde sie es heute wahrscheinlich wieder tun. Nur mit weniger Linsen.
Bei Einbruch der Dämmerung hält der Zug im Bahnhof von Doncaster, und dort steht Marcus auf dem Bahnsteig und wartet auf sie. Seine braunen Locken sind inzwischen weiß, doch er steht aufrecht da, die Augen blau wie eh und je, und er trägt das rote T-Shirt, das sie ihm vor langer Zeit gekauft hat, mit der Aufschrift: Ich bin Groucho-Marxist.
Serge
Die Seejungfrau
Vor langer, langer Zeit, bevor Serge und Clara zur Welt kamen, wurden ihre vormals normalen Eltern plötzlich von völlig verrückten Ideen übermannt. Das erklärte ihm Clara. Sie beschlossen, dass Pirateigentum Raub und Familienleben ein Pfannkuchenprodukt war, und deshalb verließen sie Haus und Maus und machten eine Kommune auf. Als ältestem der Kommunenkinder fiel Clara die Aufgabe zu, die verwirrenden Kundgebungen der Großen für die Kleinen zu übersetzen, auch wenn sie damals leicht schwerhörig war und manchmal Dinge erfand.
Die Sache ist die, auch wenn ihre Ohren heute wieder in Ordnung sind, spielt Clara sich immer noch auf und erfindet Dinge. Zum Beispiel ist sie überzeugt, dass Serge allein schuld war an dem Hamsterdrama, und obwohl er fast neunundzwanzig ist, behandelt sie ihn wie ein dummes Kind. Weswegen er ihr manche Sachen eben nicht erzählt.
Zum Beispiel hat er sie gestern angelogen, als er sagte, er hätte keinen Kontakt zu Otto. In Wirklichkeit ist er Otto ein Jahr nach dessen Wegzug aus Solidarity Hall – nach dem Brand – auf dem Glastonbury Festival begegnet, und seitdem sind sie in Verbindung geblieben. In Cambridge haben sie sich wieder angefreundet. Obwohl Serge zwei Jahre weiter als Otto und an einem anderen College war und nicht verstehen konnte, warum Otto Computerwissenschaften studierte, was Serge im Vergleich mit Mathe oder Physik geistlos vorkam, trafen siesich hin und wieder, betranken sich und führten intensive Gespräche, an die sie sich am nächsten Morgen beide nicht erinnern konnten. Und es war auch völlig richtig, diese Information für sich zu behalten, denn er weiß, dass Otto keine Lust auf irgendwelche deprimierenden Wiedersehensfeiern hat. Und selbst wenn, könnte man sich nicht darauf verlassen, dass Otto den Mund hält, was Serges Karrierewechsel angeht – nicht aus Bosheit oder Neid, sondern einfach weil er die Klappe nicht halten kann.
Zufällig hat Otto gestern Abend angerufen und von der
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