Die Wesen (German Edition)
still, du Sitzenbleiber“, sagte Sam.
„Als Mensch hat man doch viele Freiheiten“, sagte Laima. „Ist doch langweilig, wenn alles sich gleich erfüllt, wenn man nur daran denkt. Es mag zwar angenehm erscheinen, aber ist doch ziemlich frustrierend auf Dauer.“
„Also mir würde das nichts ausmachen“, sagte Sam.
„Ich hätte auch nichts dagegen“, sagte Slinkssons.
„Einen Sechser im Lotto, alle Frauen, die man will, schnelle Autos und eine Villa mit Pool. Einfach ein Gott sein ist doch super!“, sagte Schüssli.
„Ist es nicht die Vorfreude, meine Lieben, die den Reiz der Dinge erst ausmacht?“, sagte der Professor.
„Also mir egal. Hauptsache reich!“, sagte Schüssli.
„Aber dann willst du noch reicher sein. Dass deine Frau noch hübscher ist“, sagte von Stein.
„Klingt zum Schluss fast wie bei den Hungergeistern“, sagte Laima. „Außerdem müssen Götter auch mal sterben. Und sie können nichts davon mitnehmen.“
„Unser letztes Hemd hat auch keine Taschen“, sagte Sam.
„Siehst du. Also gar nicht so viel besser, als bei uns“, sagte Slinkssons.
„Na ja, zumindest gerade wäre ich für ein paar Minuten gerne ein Halbgott. Dann wäre der Weg frei und wir säßen schon im Warmen.“
Während sie schaufelten, zogen dicke Schneewolken auf und eine Wetterfront kamen immer näher.
„Wenn wir wenigstens heute noch den Pass erreichen könnten“, sagte von Stein, „der Himmel da hinten sieht gar nicht gut aus. Als könnte es bald ordentlich schneien. Tsin sagt, dass wir auf der andren Seite vor einem Sturm sicher wären.“
„Dann hauen wir mal rein“, sagte Slinkssons. „Nicht so trödeln, Leute!“
Schon bald setzte heftig Schneefall ein.
„Tsin geht vor. Er sagt, es kann nicht mehr weit bis zur Passhöhe sein. Wenn wir Glück haben, schaffen wir es.“
„Ich weiß nicht, wo der seinen Optimismus hernimmt?“, sagte Sam.
„Schaufeln und Mund halten!“, sagte Slinkssons.
Nach kurzer Zeit tauchte Tsin aus dem dichten Schneegestöber auf.
„Nur noch etwa vierzig Meter, sagt er. Wir werden versuchen, die Tiere durch den Schnee zu treiben. Das Schaufeln macht keinen Sinn mehr. Es schneit alles sofort wieder zu.“
Der Schneesturm machte den Tieren nichts aus. Ihr dickes zotteliges Fell wehte im Wind. Vorsichtig trotteten sie durch den Schnee. Ihre kurzen Beine hatten es nicht leicht, aber dank Tsins Zurufen, die mal streng, mal aufmunternd waren, gingen die Tiere unbeirrt voran.
Sie hatten keine Sicht mehr. Es war ein reines Wunder, dass Tsin den Weg durch das Schneegestöber fand, in dem sie ohne jede Orientierung waren. Ein Abgrund oder eine Spalte vor ihnen wäre ihr sicheres Ende gewesen.
Dann ging es nicht mehr bergan, sondern leicht bergab. Es war das Einzige, was Laima in dem weißen Sturm, der um sie herum wütete, spüren konnte. Sie gingen alle dicht hinter den Yaks. Einer nach dem andren, um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Einen kurzen Moment stehenzubleiben bedeutete in dieser Situation sofort, den Anschluss zu verlieren.
Sobald die dichte Flockenwand einen geschluckt hatte, war man hoffnungslos verloren. Ohne Weg, ohne Sicht und ohne Kontakt. Abgeschnitten im weißen Nichts des Unwetters, eingeschlossen in der Ausweglosigkeit. Ein Seil, dachte Laima. Aber sie waren so plötzlich vom Sturm überrascht worden, dass sie nicht dazu kamen. Jetzt waren das Tosen des Windes und der Schnee so stark, dass sie einfach weitergehen mussten.
Dann machten die Tiere Halt.
„Wir werden unsere Zelte hier aufschlagen“, schrie Gerold von Stein gegen den Wind an, als sie dicht zusammenstanden. „Es macht keinen Sinn mehr, weiterzugehen. Wir müssen warten, bis das Wetter sich beruhigt.“
„Ist schlimmer als im Dschungel. Hier hilft nicht mal eine Machete“, sagte Sam.
Sie versuchten, so gut es ging, die Zelte anzubringen, ohne dass der Sturm sie ihnen aus den Händen riss. Sam verteilte Gaskocher, Tütensuppen und etwas Trockenfleisch, das Tsins Frau ihnen mitgegeben hatte.
„Nehmen sie Schnee zur Zubereitung der Suppe! Haben wir ja genug hier“, schrie Sam Laima zu, bevor sie alle in ihren Zelten verschwanden. „Schlafen sie aber nicht dabei ein, wenn sie nicht wieder mit dem Zelt abfackeln wollen!“
Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als er das sagte, wirkte befremdend auf sie. Oder war es der Sturm, der alles verzerrte?
Als der Gaskocher brannte, wurde es im Zelt schnell warm. Trotz der unguten Erinnerungen an das Feuer der letzten
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