Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
Vom Netzwerk:
fanden, vermochte es nicht, die Stimmung zu heben. Die eintretende Dunkelheit, in der sie sich um ein Feuer in der großen Halle versammelten, wirkte bedrückend und das Feuer wenig einladend. Laima fror. Hunger, Kälte und die Aussicht langsam und qualvoll in den Bergen zu sterben, waren nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Jede Suche nach Artefakten, Mumien, Weisheit erschienen ihr geradezu lächerlich. Eine leise Wut stieg in ihr auf. Von Stein verteilte Scheiben getrockneten Ziegenfleischs, die ihr Sodbrennen verursachten.
    War es das wert? War ein großer runder Stein, selbst wenn er die tiefsten Geheimnisse des Universums in sich barg und den Lauf der Menschheitsgeschichte veränderte, es wert, dafür zu sterben? Das Leben kam ihr mit einem Mal so kostbar vor. Wie ein Diamant, mit dem sie die ganze Zeit wie selbstverständlich und ohne ihn zu beachten gespielt hatte. Jetzt sah sie mit einem Mal, wie wunderschön er war. Wie er strahlte und welch erhabene Kostbarkeit von ihm ausging. War das nicht das wirkliche Wunder aller Wunder? Sie hatte das Gefühl, etwas gefunden zu haben, nach dem sie immer gesucht hatte. Dabei hatte sie es immer in sich getragen, dieses Wunder des Lebens, das keiner Erklärung bedurfte. Das auch nicht zu erklären war. Die Wissenschaft wusste zwar, wie man Knochen wieder zusammenwachsen ließ und vieles mehr, aber das Mysterium selbst konnte niemand erklären. Gerade jetzt in diesem Augenblick, in dem sie mit den Anderen, aber doch ganz allein, am Feuer saß, erschien ihr das Leben ganz neu und außergewöhnlich. Alle Worte fielen von ihr ab. Wie eine sich entblätternde Rose, in deren Innerem das Juwel zum Vorschein kam.
    Aus dieser tiefen Verbundenheit mit dem Leben entsprang ein Gefühl der Freude und des Glücks. Es war ein stilles, unaufgeregtes Glück. Und so schnell dieser Moment des Erkennens gekommen war, so schnell war er auch wieder verschwunden. Aber das tiefe Behagen blieb noch eine Weile und gab ihr neue Kraft. Später hatte sie den Eindruck, als habe sie mit dieser Einsicht ein Engel geküsst. Es waren die einzig passenden Worte, die ihr dafür einfielen.
    Im Gegensatz zu den anderen war sie die Einzige, die neuen Mut schöpfte. Sie wollten am kommenden Morgen aufbrechen, sobald die Sonne aufging. Als sich Laima in die Höhle zum Schlafen legte, in der die Dropa die Felle und Decken zurückgelassen hatten, dachte sie noch einmal an das Juwel. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Es war ein bisschen wie Schmetterlinge im Bauch. Unweigerlich dachte sie an Chang. Sie fühlte sich losgelöst von der Welt. Sie hatte keine Angst mehr. Selbst wenn sie nicht mehr dazu käme, eine Familie zu gründen, die Liebe des Lebens zu finden, jetzt, gerade in diesem Augenblick fühlte sie sich gut und geborgen. Das war die Hauptsache, auch wenn alle Tatsachen gegen ihr Gefühl sprachen.
     
    Am nächsten Morgen weckte sie von Stein. Laima war ausgeruht. Die Sonne stand bereits höher als erwartet. Sie sammelten alle Sachen zusammen und Laima ging mit Figaro Slinkssons zum Wasserfall ans Ende der Schlucht, um die Wassersäcke für ihre Abreise aufzufüllen.
    Die Gischt des herabstürzenden Wassers sorgte für eine angenehme Erfrischung auf der Haut und weckte in Laima das Bedürfnis, sich in die kühle Flut zu stürzen.
    „Ich werde dann schon mal zurückgehen“, sagte Figaro Slinkssons. „Ist ja nicht so, dass ich nicht gerne bleiben würde. Aber ich besitze etwas Anstand, auch wenn man es mir vielleicht nicht ansieht.“
    Laima genoss die kalte, erfrischende Reinigung im klaren Bergwasser. Das mystische Erlebnis des gestrigen Abends war fast verflogen. Aber ein Rest dieses Gefühls vibrierte noch in ihr nach, wobei das Bad einiges dieser guten Schwingungen in ihr erneut zum Klingen brachte. Frisch gestärkt und sauber konnte sie nun den Herausforderungen entgegensehen.
    Die Anderen warteten bereits auf sie, als sie, sich die Haare trockenreibend, zu ihnen stieß.
    Die wenigen Dinge, die sie hatten, trugen die Männer. Von Stein kam auf die Idee, im Flugzeug nach einer Signalpistole zu suchen. Aber bei der Ausstattung von Kapitän Ranjids Mimi war es nicht verwunderlich, dass sie nichts dergleichen fanden. Nur eine alte Streichholzschachtel, die unter einen Sitz gerutscht war.
    Nach der Nacht hatte sich an der Moral der Gruppe wenig geändert. Alle wirkten nachdenklich. Der kämpferische Geist flackerte schwach in ihren Augen und Laima fragte sich, ob von Steins Ehrlichkeit

Weitere Kostenlose Bücher