Die Wesen (German Edition)
Wurfbewegung über dem Tuch vor.
Die Tierknochen fühlten sich seltsam an in ihrer Hand. Einige waren warm, andre kalt wie Eiswürfel. Sie schüttelte sie und warf sie auf das Tuch.
Die Alte beugte sich vor und schaute genau hin.
„Wie will sie denn irgendetwas daraus ableiten?“, sagte Sam. „Das ist doch Hokuspokus!“
„Wenn jeder seine eigene Energie da reingibt, dann kommt auch immer was Eigenes raus“, sagte von Stein.
„Selbst wenn es so wäre, würde das nicht mal für eine Wetterprognose taugen. Geschweige denn für eine Vorhersage über die Zukunft.“
„Warum nicht? Wenn man beim Wetter auf die Wolken schaut, kann man mit den Erfahrungswerten, die man hat, auch Voraussagen treffen.“
„Treffen, ja. Aber ob es deshalb auch stimmt?“
Die Alte Frau sah zu Laima auf und sprach. Sie sprach nur Tibetisch. Tsin übersetzte Thian.
„Sie sagt, du wirst den Mann zum Heiraten finden, den du suchst. Ihr werdet sehr glücklich sein“, sagte von Stein.
„Sagt das nicht jede Wahrsagerin zu unverheirateten Frauen?“
„Leise! Aber es wird auch ein Schwieriges sein, den Aufgaben nachzukommen. Es wird ...“
Dann schlug die Alte das Tuch schnell zusammen, strich sich mehrfach mit den Händen übers Gesicht und schloss die Augen, wobei sie hektisch vor- und zurückwippte und ununterbrochen Gebete murmelte.
„Was?“, fragte Laima.
„Ich weiß es auch nicht“, sagte von Stein und sah fragend auf Thian und Tsin.
Beide zuckten nur mit den Schultern.
Laima fühlte sich verwirrt.
Spät in der Nacht wachte sie auf. Ihre Augen brannten. Sie hustete. Dichter schwarzer Qualm quoll in dicken, giftigen Schwaden aus dem Ofen und füllte bereits die Jurte nahezu bis zum Boden. Eine Gestalt huschte zum Eingang hinaus, als ein mächtiger Knall alles erschütterte.
18
Laima wurde auf die Seite geschleudert. Metallstücke schlugen neben ihr mit unvorstellbarer Wucht in die Zeltwände, die augenblicklich Feuer fingen. Alles brannte. Die Explosion hatte Laima fast ohnmächtig werden lassen. Ihre Ohren waren taub. Der schwarze Qualm machte sie blind und drohte, sie zu ersticken, sobald sie sich aufrichtete. Die Zeltwände verwandelten sich in Mauern aus Feuer. Brennende Fetzen segelten durch die Luft und von der Decke, die jeden Moment drohte, wie eine Grabplatte in die feurige Gruft zu stürzen und sie unter sich zu begraben.
Sie nahm Bewegungen in den andren Ecken des Zeltes wahr. Die Kinder und Tsins Frau! Sie fingen an, zu schreien. Dann robbten sie auf dem Boden zum Ausgang. Laima zog sich eine Decke gegen die herabfallenden Feuerstücke über und kroch ebenfalls zum Ausgang, dessen Vorhang bereits in Flammen stand. Die Kinder trauten sich nicht hindurch. Ihre Mutter schrie hinter ihnen auf dem Boden. Laima hielt die Luft an, zog die Decke über den Kopf und sprang. Sie riss den Vorhang ab, sodass alle Kinder hinter ihr hinausstürzen konnten.
Durch die Rauchwolke sah Laima von Stein und Professor Carlsen bewusstlos in der Jurte liegen. Von allen Seiten kamen Helfer herbei. Tsin und Thian, die offenbar nicht in der Jurte gewesen waren, hielten sich Tücher vor den Mund und tauchten sofort hinein. Andre folgten ihnen. Sam kam angehumpelt.
„Ich wollte gerade versuchen, Wasser zu holen, als ich den Qualm gesehen habe. Dann hat mich die Explosion erwischt.“
„Das sieht übel aus.“
„Ich habe einen Splitter abgekriegt“, sagte er und drückte auf eine stark blutende Wunde an seinem Oberschenkel. „Da, sie haben Gerold und den Professor.“
„Und Schüssli, er ist immer noch bewusstlos. Jetzt bringen sie Slinkssons.“
„Und Tsins Mutter, die alte Frau sieht gar nicht gut aus.“
Sie legten alle nebeneinander auf Decken am Boden. Sofort kamen Frauen und wickelten sie ein, gaben ihnen Wasser und wuschen ihnen die Augen aus.
„Die alte Frau wirkt so schlaff“, sagte Laima.
„Da, am Kopf, ein Splitter vom Ofen. Das ist übel.“
„Der Professor bewegt sich. Gehen wir zu ihm!“
„Was ist passiert?“, fragte von Stein.
„Eine Explosion! Der Ofen ist in die Luft geflogen.“
„Das ganze Zelt brennt ja. Das war doch kein Unfall!“
„Beruhigen sie sich erst einmal. Ruhen sie sich aus. Die Druckwelle hat sie bewusstlos gemacht. Bleiben sie liegen.“
Von Stein sah sich um.
„Und die Andren?“
„Sam hat es erwischt. Thian und Tsin waren wohl noch feiern. Seine Frau und die Kinder haben es überlebt. Mit Tsins Mutter sieht es nicht gut aus, fürchte
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