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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
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ertönte.
    Alle versammelten sich. Männer, Frauen, Kinder. Sie zogen in einer langen Prozession singend und betend in einem weiten Kreis um alle Jurten und Tiere. Dabei wurde Reis geworfen. Auch Bier und Schnaps wurde geopfert, wobei der größte Teil seinen Weg in die Kehlen der Männer fand.
    „Was passiert denn jetzt?“, fragte Schüssli, nachdem sie die Umrundung beendet hatten.
    „Da! Männer mit Falken!“
    Tsin erklärte Thian, was jetzt passieren sollte.
    „Es wird ein Wettbewerb abgehalten“, übersetzte von Stein. „Wessen Falke als Erster mit einer Beute bei seinem Herrn landet, hat gewonnen. Der Preis ist das schwarze Pferd dort. Er wird von allen Teilnehmenden ausgesetzt.“
    Tsins Sohn kam mit einem Falken auf dem Arm. Das Tier trug eine prächtig verzierte Lederkappe über dem Kopf. Tsins Sohn hielt ihm die Klauen mit dem Daumen, während er auf seiner Hand saß, die durch einen ledernen Handschuh geschützt war.
    „Die Kappe tragen die Tiere, damit sie nicht nervös werden“, sagte von Stein.
    „Sein Vater nimmt auch Teil?“, fragte Professor Carlsen.
    „Nein, es ist sein eigener Vogel. Aber sein Vater hat das Startgeld, den Anteil am Pferd, für ihn gezahlt.“
    Die fünf Falkner begaben sich zum äußeren Rand der Menge. Ein Mann gab das Signal, den Vögeln die Hauben abzunehmen. Dann folgte ein Pfiff und alle Vögel erhoben sich in die Luft.
    „Finden die auf die Schnelle überhaupt etwas, oder soll ich jemandem noch ein Bier mitbringen?“
    „Ich nehme gern noch eins, Sam. Aber es wimmelt hier nur so von Mäusen und Kleintieren“, sagte von Stein.
    „Da. Eine Taube.“
    Eine Taube hatte sich aus ihrem Versteck in der Steppe gelöst und flog nun in Panik flach über den Boden, in der Hoffnung, so ihr Leben zu retten und unentdeckt zu bleiben.
    „Ist das nicht grausam?“, sagte Laima.
    „Es ist hier eine populäre Art zu jagen. Wie bei uns in Europa früher auch. Die Falken werden als Waffen eingesetzt.“
    „Wie kommt es dann“, fragte sie, „dass die Tiere die Beute nicht selber fressen?“
    „Sie wissen, dass sie ihre Belohnung bekommen, wenn sie die Beute unversehrt abliefern.“
    Die Falken hatten die Taube sofort entdeckt. Nur der Falke von Tsins Sohn hatte sie nicht bemerkt. Er war gerade in Richtung Berge geflogen. Offenbar waren das seine Jagdgründe.
    Die vier andren Falken stürzten hinter der Taube her. Die hielt sich immer dicht über dem Boden. Die Raubvögel versuchten, im steilen Winkel, von oben auf sie herabzustürzen. Sie war aber schnell und wich geschickt aus, sodass ihr die Falken jetzt hinterherfliegen mussten. Vier Falken hatten ihre ganzen Instinkte auf eine Taube gerichtet. Sie flogen eng. Flügelspitze an Flügelspitze, verfolgten sie die Taube einer neben dem andren. Das machte die Falken nervös. Da brach einer von ihnen aus. Ohne das Opfer weiter zu jagen, stürzte er sich auf seinen Gegner.
    Beide fielen zu Boden. Federn flogen durch die Luft und ihre Besitzer liefen sofort los. Sie versuchten die zwei Streithähne voneinander zu trennen, bevor sie sich gegenseitig zerfleischten.
    „Diese Vögel sind sehr kostbar und das Abrichten sehr aufwendig.“
    „Wenn da noch was zu retten ist“, sagte Sam. „Sieht eher nach Hühnerfrikassee aus.“
    „Opfer für die Hungergeister“, sagte Slinkssons.
    „Stimmt, hatte ich vergessen.“
    „Jetzt sind nur noch zwei der Verfolger im Rennen“, sagte Professor Carlsen.
    „Drei. Aber wo ist der Dritte?“
    „Gleich hat einer der beiden die Taube. Seht doch.“
    „Ohh!“
    Ein paar weiße Taubenfedern flogen durch die Luft.
    „Sie sind am Boden.“
    „Aber was ist da los?“
    „Wenn einer die Beute hätte, würde er sofort die Flügel darüber ausbreiten“, sagte Gerold von Stein. „Als Sichtschutz. Um die Beute zu verbergen. Um niemanden durch den Anblick anzulocken und nach der ganzen Jagd vielleicht doch noch alles zu verlieren.“
    „Aber der pickt nur in den Boden und scharrt mit den Krallen wie ein Huhn.“
    „Sagte ich ja. Frikassee.“
    „Sie hüpfen um etwas herum. Was machen die da? Das ist doch nicht die Taube?“
    Tsin sagte etwas.
    „Die Tauben hier leben in Erdhöhlen. Weil es keine Bäume gibt. Wenn die da drin sind, kriegt die keiner mehr da raus.“
    Laima hatte mit einem Auge den Falken von Tsins Sohn verfolgt, der genau wusste, wohin er wollte. Er stand jetzt am Fuß des Berges in der Luft. Es sah aus, als habe er ein Ziel erspäht. Dann stieß er herab wie ein Pfeil. Er

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