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Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunonia Barry
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wäre er fast wieder umgekehrt, aber jetzt rief ihn das Meer, das ihn noch nie zuvor gerufen hatte. Die kühle Dunkelheit des Hafens breitete sich hinter dem kleinen Flecken Erde unter ihm aus. Funkelnde Lichter säumten den Hafen. Mit allerletzter Kraft umklammerte er das Geländer und senkte sich ganz, ganz langsam auf die Erde unter ihm hinab.
    Das Schilfgras brannte ihm auf den nackten Beinen. Die Steine zerschnitten ihm die Füße. Er spürte den stechenden Schmerz, aber er spürte auch die Kühle des Sandes, und er bewegte sich tiefer in diese Kühle hinein, bis das Wasser seine Knöchel umspielte, die Waden. Bei jedem Schritt schimmerte und funkelte das Meeresleuchten heilend und wundersam und schuf einen Heiligenschein wie von Masaccio um ihn herum, während er weiterging.
    Er spürte das Wasser, die Kühle, die ihm Erleichterung verschaffte, als der Schlick im Watt seine Füße umgab und ihn festhielt, während die sanfte Dünung des Ozeans ihm immer höher an den nackten Beinen hinaufwanderte, erst bis an die Schenkel und dann bis zum Bauch. Er seufzte, so wohltuend war diese Liebkosung.

44
    Zuerst wachte Hawk durch Finchs Alarm auf, dann Zee. Sie schnappte sich ihren Morgenmantel und lief hinunter in Finchs Schlafzimmer. Aber dort war er nicht, ebenso wenig wie im Fernsehzimmer, nicht einmal in Zees Kinderzimmer steckte er. Sofort warf sie einen Blick auf die Haustür, die sich ganz in der Nähe seines Zimmers befand, aber sie war zugesperrt. Sie redete sich ein, dass sie ihn finden würde, wenn sie nur nicht in Panik geriet. Dann spürte sie die frische Brise, die vom Hafen auf der Rückseite des Hauses heraufzog. Angsterfüllt drehte sie sich um und rannte durch den Gang in die Küche. Die Hintertür stand offen.
    »Er ist draußen!«, brüllte Zee Hawk zu.
    »Was?«
    »Finch ist draußen!« Sie deutete auf die Küchentür.
    Sie suchten ihn auf der Straße. Weil Zee glaubte, das sei bestimmt der Ort, wo Finch zuerst hingehen würde, kletterte Hawk beim Haus mit den sieben Giebeln über den Zaun und sah sich auf dem Grundstück um.
    Als er ihn dort nicht fand, rannte Hawk die Derby Street entlang und schaute in jeden Eingang und in jede Gasse, obwohl er bezweifelte, dass Finch weit kommen würde, so unsicher, wie er auf den Beinen war. Hawk wählte gerade die Nummer der Polizei von Salem auf dem Handy, als er Zee rufen hörte.
    Er fand sie am Rand des Wassers. Sie watete zu der Stelle hinein, wo Finch feststeckte, die Füße im Schlick, das dünne Schlafanzugoberteil durchtränkt vom steigenden Hafenwasser.
    Gemeinsam zogen sie ihn heraus, wickelten ihn in Decken und brachten ihn in die Notaufnahme des Salem Hospital. Er war nicht verletzt und kaum unterkühlt – er war nicht sehr lange im Wasser gewesen. Aber das Krankenhaus wollte ihn über Nacht dabehalten, nur zur Sicherheit.
    Stunden nach Mitternacht fuhr Hawk Zee zurück nach Hause. Als sie in der Zufahrt hielten, fing sie zu weinen an. Sie schluchzte laut und tief, und er hielt sie lang im Arm und sagte immer wieder, dass alles gut werden würde.
    Er wiederholte es noch einmal, als sie ruhig genug war: »Es wird wieder gut.«
    Sie wandte sich ihm zu, ihr Gesicht war ganz rot und aufgequollen vom Weinen.
    »Nein«, sagte sie. »Wird es nicht.«
    Lange saßen sie schweigend da.
    »Ich kann das nicht mehr«, sagte sie schließlich.
    Einen kurzen Augenblick lang dachte er, sie meinte die Pflege von Finch. Er hoffte es, um ihrer und um seiner willen. Aber so, wie sie ihn ansah, da wurde ihm klar, dass er sich etwas vormachte. Es war aus. Sie hatte ihm erst heute Nacht gesagt, dass sie nicht bereit dafür war, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für irgendeine Art von Beziehung zwischen ihnen war. Sosehr es ihm auch wehtat, er wusste, er würde sie loslassen müssen.

45
    Ohne Zee hielt Hawk es nicht mehr in Salem aus. Er kündigte beim Park Service. Er hatte noch eine Fahrt mit der Friendship zugesagt, am Wochenende des Labor Day, und sie fanden keinen Ersatz. Seinen eigenen Liegeplatz hatte er bereits für die ganze Saison bezahlt, deshalb ließ er seinen Freund Josh die nächsten Wochen dort auf dem Boot wohnen. Hawk wollte zurück in seine Wohnung in Marblehead. Zee wollte er nicht begegnen.
    Alles war so schnell geschehen, und obwohl er gewusst hatte, dass es – wie alle Lückenbüßerbeziehungen – keine gute Idee war, hatte es ihn hart getroffen. Er konnte es sich nicht erklären; so etwas war ihm bisher noch nie passiert. Es war nicht

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