Die Widmung: Roman (German Edition)
Ungeheuer tötete, musste er sich auf die Logik verlassen, die ihm früher so leicht gefallen war. Er war in einer Aderpresse gefangen, die die Blutzufuhr abschnitt, bis er das rechte Bein überhaupt nicht mehr spürte und keine Luft mehr bekam. Je mehr er sich dagegen wehrte, desto enger wurde der Griff.
Er kämpfte um Ruhe, zwang sich, strategisch zu denken, ging die Schritte durch, die nötig waren, um sich zu retten. »Kapitulation« lautete das Wort, das ihm einfiel. Zu kapitulieren, das lief der natürlichen Reaktion seines Körpers zuwider, aber es war jetzt genau das Richtige. Mit aller Willenskraft zwang er sich, sich nicht mehr zu wehren. Er bewegte sich auf das Ungeheuer zu. Als es merkte, dass er aufgab, lockerte es seinen Griff, so dass Finchs schweißnasser Körper freikam. Sobald er dem Todesgriff entronnen war, warf er das Ungeheuer zu Boden, und im Flug nahm es wieder die geisterhafte Gestalt des Bettlakens an, das es zuvor gewesen war, und schwebte unschuldig zu Boden, als hätte es keine Ahnung, was es gerade noch für ihn dargestellt hatte.
Am liebsten hätte er nach seiner Frau gerufen, nach Maureen. Er hörte, dass sie zu Hause war, in dem oberen Zimmer. Aber sie sprachen kaum noch miteinander. Er spürte sein Herz in der Brust schlagen, spürte es im Bein, als ihm das Blut in die Glieder zurückfloss. Das Betttuch war nass. Einen Augenblick überlegte er, ob er ins Bett gemacht hatte wie ein hilfloses Kind, und er schämte sich dafür, doch nein, es war sein Schweiß, der sich auf dem Betttuch angesammelt hatte, um seinen brennenden Körper zu kühlen. Ihm war noch nie so heiß gewesen. Es war unerträglich.
Das Fenster stand offen. Vom Hafen her roch er die Seeluft. Auf der anderen Seite der Turner Street war Chanticleer, der Hahn, beim Tor zu dem Haus mit den sieben Giebeln. Er hatte es geschafft, dem Gatter zu entfliehen, das die alte Hepzibah gebaut hatte, um ihn einzusperren. Tränen der Dankbarkeit traten Finch in die Augen, weil der Hahn den Fesseln hatte entkommen können. So sehr identifizierte er sich mit dem dürren alten Vogel aus Hawthornes Geschichte, dass er einen Moment lang nicht merkte, dass es gar nicht der erdichtete Hahn aus seiner Einbildung war, sondern der Kater Dusty.
Als er es schließlich begriffen hatte, kletterte Finch aus dem Bett und lief durch den Gang in Richtung Küche und Freiheit. Hinter ihm ging der Alarm los. Finch blieb nicht stehen, um seinen Rollator zu holen, sondern benutzte zum ersten Mal den Handlauf, der erst vor kurzem eingebaut worden war. Mit zitternden Händen hangelte er sich mühsam weiter, aber nicht zur Haustür, die viel näher an seinem Zimmer lag. Er wollte nämlich nicht zur Straße, nicht einmal zum Haus mit den sieben Giebeln, sondern hatte ein anderes Ziel. Langsam und methodisch bewegte er sich durch den langen Korridor auf die Küche zu, zum Hintereingang, der sich so viel näher an dem kühlen Ozean darunter befand.
Der Alarm hinter ihm wurde mit jedem Schritt durch den schrägen Korridor leiser, bis er ihn gar nicht mehr hörte und der gleichmäßige Rhythmus der Wellen im Hafen, ob nun echt oder eingebildet, das unablässige Schrillen übertönte. Er dachte nicht an die Schmerzen in den Beinen oder an seine Haut, die sofort brannte, wenn er den Handlauf oder die Wand streifte, sondern nur an das kühlende, heilende Meerwasser, Wasser so salzig wie Blut, vielleicht ein Ersatz für sein eigenes Blut, das ihn mit jedem glühend heißen Schritt im Stich ließ.
Er stieg über die hohe Schwelle zur Küche. Noch sieben Schritte, und er berührte die Tür. Mit seiner ganzen Kraft drehte er den Türgriff, denn er rechnete damit, auch den Riegel entsperren zu müssen, und das war schwierig. Er hatte das zuvor schon versucht, aber es war ihm nicht gelungen – seine Finger gehorchten ihm nicht mehr, sie hatten ihren eigenen Willen. Doch heute stellte er zu seinem Glück fest, dass die Tür gar nicht verriegelt war, sie war nur leicht durch die Schlossfalle gesichert. Sie ging ganz einfach auf. Mit einem befreienden Schritt betrat er mit dem bloßen Fuß die Veranda.
Nun hatte er keinen Handlauf mehr, an dem er sich abstützen konnte. Er überquerte vorsichtig die Veranda. Erst fand er einen Stuhl, dann einen Tisch zum Anlehnen. Er bewegte sich von einem Möbelstück zum nächsten und navigierte im Zickzack zu den drei Stufen, die ihn von der Erde und dem Meer trennten. Es hätten genauso gut hundert sein können. Einen Moment lang
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