Die Widmung: Roman (German Edition)
wäre es im alten Land niemals gekommen. Bloß gut, dass seine Familie tot sei, hörte sie Brigid sagen. Wären sie noch am Leben, hätten sie einer solchen Verbindung schon vor dem Beginn Einhalt geboten.
Maureen war unglücklich. Das Haus lag zwar nur ein paar Straßen vom Wasser entfernt, aber ihr fehlte der Geruch des Meeres und der Sog der Gezeiten. Sie litt an Schlaflosigkeit und bekam Panikanfälle, denn manchmal glaubte sie beinahe, Brigid versuche sie zu vergiften, als Strafe dafür, dass sie keine Grenzen kannte. Sie wehrte sich gegen diese Vorstellung, und die Logik siegte. Sie konnte sich selbst davon abbringen, so zu denken. Trotzdem aß sie nur sehr wenig, und schon gar nichts von dem, was die irische Köchin zubereitet hatte. Maureen wurde immer dünner und schwächer, während die Monate vergingen.
Sollte Finch die Veränderung, die mit Maureen vor sich ging, bemerkt haben, so sagte er nie etwas dazu. Er schien einfach von ihr bezaubert zu sein und verbrachte den Winter damit, sie zu fotografieren – und den Rest der Zeit entweder mit seinen Seminaren über Hawthorne und die amerikanischen Romantiker oder in seiner Dunkelkammer. Während dieser Zeit begann Maureen zu schreiben.
Finch tat damals alles, um sie glücklich zu machen. Als sie das Haus in der Turner Street entdeckte, überzeugte sie ihn davon, das alte Gebäude zu kaufen und dort einzuziehen, das Mausoleum in der Chestnut Street loszuwerden und das Personal zu entlassen. Er tat es, um ihr einen Gefallen zu tun, aber tatsächlich war es auch ihm mehr als recht. Das Haus, das sie gefunden hatte, lag nur wenige Häuser vom Meer entfernt, was Maureen auf jeden Fall glücklich machte, und außerdem lag es fast unmittelbar gegenüber von Hawthornes berühmtem Haus mit den sieben Giebeln. Da Finch vor kurzem ein Stipendium erhalten hatte, um sich mit Hawthornes Tagebüchern und mit den Briefen, die Melville an ihn geschrieben hatte, zu beschäftigen, konnte er sich keinen besseren Ort vorstellen.
Maureen blühte in dem neuen Haus auf. Sie und Finch waren eine gewisse Zeit lang glücklich, erzählte sie. Aber schon in dem ersten Winter ging alles schief. Finch fuhr nach New York, um an einer Gastvorlesungsreihe über die amerikanischen Romantiker an der Columbia University teilzunehmen, und bei seiner Rückkehr war Maureen niedergedrückt.
In diesem Winter begann sie mit ihrer Märchensammlung, eine dunkle Zusammenstellung von Texten, die Zees Meinung nach viel näher an den Gebrüdern Grimm als an Disney waren. »Ein Schicksal, schlimmer als der Tod«, gehörte zu Maureens Lieblingssätzen. In ihrer Freizeit beschäftigte sie sich intensiv mit der Geschichte dieses Hauses, mit der sie bald so vertraut war, dass sie es nur damit erklären konnte, sie müsse in einem früheren Leben darin gelebt haben und sei von dem Haus selbst zurückgelockt worden. Das Haus hatte eine Geschichte zu erzählen, dessen war sie sich sicher.
Als er ihre beunruhigende Theorie hörte, hätte Finch sie vielleicht überzeugen können, noch einmal umzuziehen, doch er hatte sich in das Haus verliebt. Er hatte Freunde im Haus mit den sieben Giebeln, und er fand großen Gefallen an dessen Garten. Er liebte alles an diesem Flecken, auch die Nachbauten von Hepzibahs Kramladen und Maules Brunnen, die in Anlehnung an Hawthornes Geschichte dort entstanden waren. Und die Tatsache, dass Hawthornes Geburtshaus vor kurzem auf das Anwesen am Meer versetzt worden war, auf dem auch das Haus mit den sieben Giebeln stand, war ein zusätzlicher Pluspunkt. Alles, was mit Hawthorne zu tun hatte, lag nun höchstens einen Steinwurf von seiner Haustür entfernt.
In diesem Sommer hatte man Finch eine Stelle am Amherst College angeboten, für das Sommertheater, wo sie Der scharlachrote Buchstabe aufführen wollten. Zu der College-Produktion sollte auch eine neu gestaltete dramatische Lesung des jungen Hawthorne persönlich gehören, und sie hatten Finch eingeladen, den Text zusammenzustellen. Die Aussicht auf einen Sommer mit Hawthorne reizte ihn sehr, denn so konnte er wie immer in das Leben seines Helden eintauchen, jedoch außerhalb des Seminarraums und in West-Massachusetts, nahe dem Ort, an dem Hawthorne so viele seiner späten Jahre verbracht hatte.
Doch diese Zeit war keine gute Zeit für Maureen, wie sie Zee gegenüber eingestand. Sie wurde immer besessener von dem Haus und seiner Geschichte, und es begann mit ihr zu sprechen. Manchmal antwortete sie ihm mitten in einem Gespräch
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