Die Widmung: Roman (German Edition)
Geisteskrankheit sein könnte, was er die letzten Jahre bei Maureen mit angesehen hatte. So zumindest hatte er es Zee oft erzählt.
Während der nächsten Jahre tat Finch sein Bestes, um Maureen alle notwendige Hilfe zur Verfügung zu stellen, aber die Behandlungsmethoden zu der Zeit waren nicht sehr fortgeschritten. Sie versuchte es zwar mit den damals erhältlichen Medikamenten, aber jedes machte sie benebelter und träger als das letzte. Schließlich schluckte sie gar nichts mehr und nahm lieber die unbändig manischen Phasen in Kauf, die ihre kreative Energie befeuerten, ihre Familie allerdings erschöpften und zerrütteten.
Maureens unbehandelte Krankheit hatte jedoch auch eine merkwürdige und unangemessene Mutter-Tochter-Beziehung zur Folge, die mit Zees wachsendem Alter nur umso verstörender wurde. Während Maureen bisweilen völlig unfähig war, sich an ihr Kind zu binden, so behandelte sie Zee manchmal wie ihre beste Freundin und vertraute ihr viel mehr an, als eine Mutter je einer jungen Tochter anvertrauen sollte, ungeheuerliche Geschichten, die nicht hilfreich, sondern eher peinlich waren: viel zu frühe, unzensierte Fakten des Lebens aus Zeiten des häufigen Partnerwechsels, sogar Sextricks und Verführungsmethoden, die man bei Jungs anwenden konnte, Details, die keine normale Mutter jemals ihrer Tochter verraten würde und die Zee gar nicht wissen sollte. Solche Vertraulichkeiten hatten zwei Dinge zur Folge: dass Zee selten eine Freundin mit nach Hause brachte und dass Zee und Maureen, viel zu früh in Zees Kindheit, die Rollen tauschten, so dass Zee zur Mutterfigur wurde und Maureen in die Rolle der Jugendlichen zurückfiel.
Maureen hatte in Zees Kindheit noch drei Zusammenbrüche, nach denen sie ins Krankenhaus musste. Bei den ersten beiden Malen war nur ein kurzer Aufenthalt erforderlich, weniger als einen Monat. Bei der letzten Einweisung musste sie länger bleiben, und während dieser Zeit trat Melville ins Leben der Familie.
13
Heute dachte Zee über Finchs Affäre mit Melville nach, die Beziehung, die der Ehe ihrer Eltern letztlich die Substanz genommen hatte, wenn auch nicht die Form.
Sie ärgerte sich immer noch über das Yeats-Buch, das sie am Vormittag bei Melville gesehen hatte. Die langen Monate der Dunkelheit, die mit Maureens Tod geendet hatten, hatte sie jahrelang zu vergessen versucht. Durch den Anblick des Buchs wurde alles wieder zurückgerufen, und auch Lillys Selbstmord.
Sie war nicht böse auf Melville – sie war böse auf Finch. Wie konnte er es wagen, Melville genau das Buch zu schenken, das er einst ihrer Mutter geschenkt hatte! Manchmal glaubte sie, Finch kaum zu kennen. Sie wusste, dass er Maureen mit Yeats endgültig für sich hatte gewinnen können. So viel hatte ihre Mutter ihr erzählt. Vielleicht lief das bei all seinen Eroberungen so, dachte sie.
Ihr fiel der Junge am Amherst College ein, der damals den jungen Hawthorne gespielt hatte. Wurde auch er mit einem Yeats-Band bedacht? Vielleicht hatte Finch viele Ausgaben gekauft und das Ganze zum Teil seines romantischen Rituals gemacht. Bei dem Gedanken wurde sie noch wütender. Aber eigentlich leuchtete das nicht ein. Im Herzen wusste Zee, dass es nicht mehrere Yeats-Bücher gab, die Finch an potentielle Partner verteilte; es gab nur einen einzigen Band. Das Buch, das aus Melvilles Koffer herausschaute, war dasselbe Buch, das Finch Maureen geschenkt hatte. Jahrelang hatte es auf Baker’s Island auf dem Bett in einem Zimmer gelegen, das nicht mehr als Schlafzimmer, sondern als Maureens Schreibzimmer genutzt wurde.
In dem verzweifelten Versuch, die Stimmung ihrer Mutter aufzuhellen, war sie an jenem letzten Tag nach Baker’s Island gefahren, um Maureen das Yeats-Buch zu holen. Ursprünglich hatte Zee vorgehabt, Maureen für diesen Tag dorthin mitzunehmen, sie hatte sich dafür sogar Onkel Mickeys Dory ausgeliehen, aber Maureen weigerte sich mitzukommen, ihr gehe es nicht gut und sie wolle lieber oben im Bett bleiben. Frustriert brach Zee alleine auf. Wenn sie ihrer Mutter nur das Buch bringen könnte, das sich Maureen schon öfter ausdrücklich herbeigewünscht hatte, vielleicht würde das etwas bewirken.
Das hatte sie sich später immer vorgeworfen. Wäre sie an diesem Tag gar nicht auf die Insel gefahren oder wäre sie früher zurückgekommen, hätte sie ihrer Mutter vielleicht das Leben retten können. Doch so kehrte Zee etwas eher zurück, als ihre Mutter erwartete, zeitig genug, um ihren Todeskampf mit
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