Die Widmung: Roman (German Edition)
Leinenhosen und dem Baumwollhemd war er eher für eine Gartenparty gekleidet als für den Strand. Er hatte eine Fotoausrüstung bei sich, eine alte 8 x 10-Zoll-Plattenkamera auf einem abgenutzten Holzstativ. Sehr altmodisch, genau wie er selbst. »Elegant«, meinten ihre Freundinnen zu Finch. Sein Gatsby-Look passte eher in die Zwanzigerjahre als in die Siebziger, aber das hatte seinen eigenen Reiz, vielleicht umso mehr, weil es so ungewöhnlich war.
Er hatte sie alle bemerkt. Aber er steuerte gleich auf Maureen zu.
»Darf ich Sie fotografieren?«, fragte er.
Ihre Freundinnen lächelten.
Maureen starrte ihn nur an.
»Verzeihen Sie«, begann er von Neuem, »aber würden Sie mir vielleicht das Privileg gestatten, ein Porträt von Ihnen aufzunehmen?«
Die Mädchen kicherten.
»Sind Sie Fotograf?« Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte.
»Gott bewahre, nein«, sagte er.
Die Mädchen bogen sich vor Lachen. »›Gott bewahre‹?«, wiederholte eine von ihnen.
Finch lief rot an.
»Warum?«, fragte Maureen und merkte, dass sie alles nur schlimmer machte.
»Mich können Sie fotografieren«, sagte das Mädchen, das Kitty hieß. »Von mir können Sie jederzeit ein Bild schießen.«
»Warum sollten Sie mich fotografieren wollen?«, fragte Maureen noch einmal, ohne ihre Freundin zu beachten.
»Weil Sie bei weitem das hübscheste Mädchen sind, das ich je gesehen habe.«
Da sie Brüder hatte, war sie an solche Komplimente nicht gewöhnt und glaubte, er mache sich über sie lustig.
In der Überzeugung, sie sei gerade beleidigt worden, wandte sie sich von ihm ab – konnte dabei allerdings noch kurz seinen Gesichtsausdruck erkennen, und der brach ihr das Herz. Er wirkte untröstlich.
»Sie sollten gehen«, sagte sie, ohne ihn direkt anzusehen.
Doch seinen Blick hatten auch ihre Freundinnen bemerkt, besonders Kitty. »Ich finde, du solltest dich von ihm fotografieren lassen«, sagte Kitty. »Vielleicht kann er dich ja zum Model machen oder so.«
Maureen ignorierte ihre Freundin. Kitty war ein albernes Ding, dem es gar nicht zustand, jemandem einen Rat zu geben. Maureen wurde bewusst, dass Finch immer noch vor ihr stand. Sie spürte seinen Blick auf ihr ruhen. Er hatte sich nicht vom Fleck gerührt.
»Hab Mitleid, Maureen«, sagte ihre andere Freundin, denn ganz offensichtlich würde sich Finch nicht von der Stelle rühren. »Jetzt lass ihn doch das verdammte Bild machen.«
Maureen gestand Zee, sie habe sich von Finch zu einer Stelle jenseits des Ufers locken lassen, wo das hohe Schilf und die wilden Rosen wuchsen. Dort sei das Licht besser, erklärte er ihr, und das Bild würde eine gewisse Stofflichkeit erhalten.
An diesem Punkt ihrer Liebesgeschichte gab Maureen Zee immer eine Ermahnung mit auf den Weg: »Aber du, mein Liebes, lässt dich von keinem Jungen zu so etwas überreden. Wenn man mit einem Jungen an einsame Plätze geht, dann weiß man nie, ob das nicht eine unglückliche Entscheidung war, die womöglich mit Vergewaltigung und Mord endet.«
Das war der einzige Teil ihrer Geschichte, der Zee wirklich sprachlos machte. Sie hielt die Luft an, bis Maureen lachend weitererzählte.
»Damals wussten wir natürlich nicht, wie absolut harmlos Finch in dieser Beziehung war.« Manchmal verschluckte sie sich, wenn sie das sagte. Manchmal lachte sie.
Finch war älter als Maureen – fünfunddreißig vielleicht, meinte sie – und stammte immer schon aus einer anderen Epoche. Er hatte etwas von einem Außenseiter an sich, er hielt sich stets ein wenig abseits, und das verstand sie gut. Während sich die Welt so schnell veränderte, schienen sie beide in eine andere Zeit und an einen anderen Ort zu gehören.
Finch eroberte zügig ihr Herz – nicht mit seinen Fotografien, sondern mit Gedichten. Nicht Hawthorne, erzählte sie, sondern Yeats war es. Yeats rührte eine Saite in ihrem Innersten an, so wie Hawthorne bei ihm, und genau das hatte er vorhergesehen. Er kannte ihre Seele, erzählte sie.
An dem Abend, an dem ihr endgültig einleuchtete, dass sie ihn liebte, waren sie draußen in Nahant, an der alten Station der Küstenwache. Der Wetterbericht hatte einen frühen Hurrikan angekündigt, der Wind pfiff ihnen bereits um die Ohren, und die Wellen schlugen schaumig-weiß auf die Felsen unter ihnen. Finch stand seitlich zu ihr, viel zu nahe am Rand, und rezitierte »Die Harfe des Aengus«. Seine Worte wurden vom Wind zurück zu ihr getragen.
Edain came out of Midhir’s hill, and lay
Beside young Aengus
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