Die Widmung: Roman (German Edition)
reihum und überprüfte die Berechnungen. Sie sahen ziemlich genau aus.
»Und jetzt?«, fragte eine Frau.
»Jetzt warten wir.«
Hawk schaute unter Deck nach der Uhrzeit. Er hatte gehofft, rechtzeitig zurück zu sein, um heute Abend noch Zees Handlauf anfertigen zu können.
»Dürfte ich bitte die Toilette benutzen?«, bat eine Frau.
Hawk wies sie zum Bug.
Als sie herauskam, sah sie den Messingsextanten in der Mahagonikiste, die offen auf dem Tisch stand.
»Das ist ein schöner Sextant«, sagte sie. »Ist der antik?«
»Er hat meinem Großvater gehört.«
»Darf ich ihn mal ausprobieren?«
»Tut mir leid«, meinte er. »Dort drüben ist einer aus Aluminium, wenn Sie möchten, aber der hier ist tabu.«
Er reichte ihr den anderen Sextanten, und sie ging damit zurück an Deck, als hätte sie eben einen Preis bekommen.
»Hey, wo hast du den denn her?«, fragte eine der anderen Frauen.
»Eifersüchtig?« Sie lachte und baute den Aluminiumsextanten im Heck auf.
Hawk kam an Deck und schaute nach dem Sonnenuntergang. In der Ferne schimmerte die Gegend von Boston rot und lila.
Als er den Umriss der Skyline sah, musste Hawk plötzlich an Lilly Braedon und ihren Sturz in ebendieses Wasser denken. Obwohl es gar nicht so passiert war, geschah der Sturz in seiner Erinnerung in Zeitlupe, parallel zu dem Fallen ihres Handys, nachdem es ihr aus der Hand geglitten war. Es war ein so surrealer Anblick, dass die Zeitlupenszene Bild für Bild vor seinem geistigen Auge ablief, bis Lilly in dem schimmernden Saphirblau des Wassers darunter verschwand, langsam, wie in einem Traum, selbst in der Erinnerung einfach unfassbar.
Er wandte sich schnell wieder von dem Bild ab in die gegenüberliegende Richtung, der Horizontlinie zu. Vor etwa zehn Minuten war die Sonne untergegangen. Es war Dämmerung.
»Sehen Sie auf die Uhr«, sagte er. »Es ist so weit.«
Die leisen Unterhaltungen verstummten.
»Heute wollen wir unsere Position mit mindestens zwei der drei Sterne, die Sie gewählt haben, bestimmen. Mit etwas Glück können wir alle drei sehen. Sie sollten tief unten am Horizont stehen. Das wird anders sein als die Messungen, die Sie von der Friendship aus vorgenommen haben. Hier draußen ist es viel unruhiger. Sie müssen den Sextanten hin und her pendeln lassen, das Kreissegment im Auge behalten und weiter angleichen, bis der Stern, den Sie beobachten, direkt auf der Horizontlinie sitzt.«
»Und keine Sorge«, fügte er noch hinzu. »Diese Instrumente sind für Wellengang gebaut. Es ist sogar einfacher, auf einem Boot zu messen, das sich bewegt, als von einer festen Position aus.«
Er lief hin und her und half den Frauen, ihre Instrumente zu positionieren. »Lassen Sie sich nicht von Planeten in die Irre führen. Wir suchen Sterne. Planeten sehen eher aus wie Scheiben – sie funkeln nicht.«
Es dauerte eine Weile, aber sie schienen es alle hinzubekommen. Als sie mit ihren Bestimmungen begannen, wurde die Gruppe sogar noch stiller. Die Schüchternste von ihnen schnappte nach Luft. Hawk beugte sich vor und warf einen kurzen Blick auf ihre Messung, dann lächelte er sie an.
»Hübsch, was?«, meinte er.
»Wunderschön.« Sie schien beeindruckt.
Er hatte das schon tausende Male gemacht, aber jedes Mal flößte es ihm aufs Neue Ehrfurcht ein. Es gab den Augenblick, in dem man den ersten Stern erblickte, ein stecknadelkopfgroßes Licht genau an der Stelle am Himmel, wo es sein sollte – sofern man richtig berechnet hatte. Manchmal wurde das als religiöse Erfahrung beschrieben. Er war sich da nicht so sicher. Aber wenn man diesen ersten Stern erblickte oder wenn die Sterne genau dort über den Himmel zogen, wo man sie erwartete, dann konnte das durch nichts übertroffen werden. Selbst wenn man seine Position mitten in einem Unwetter durch Koppeln ermitteln musste oder wenn einen der Golfstrom über Nacht hundert Meilen vom Kurs abgetrieben hatte. Hatte man die Berechnungen richtig angestellt, und der Stern, den man suchte, stand genau dort am Horizont, wo er sein sollte, ergab das Universum in diesem Moment einen Sinn, und egal, was sonst noch in der Welt passierte, man wusste, die Sterne würden einem immer sagen, wo man sich befand, und dann würde man immer den Weg nach Hause finden.
Auf der Rückfahrt zum Hafen von Salem war die Gruppe still. Ein paar Frauen schrieben in ihr Logbuch, andere betrachteten einfach die Sterne, während der Himmel dunkler wurde und die Sternbilder weiter nach oben wanderten.
An seinem
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