Die Wiedergeburt
jedoch einen Moment, ehe Alexandra begriff, was es war. Er! Warum fragte er nach Lucian? Müsste er nicht zuerst das Kreuz … Noch ehe sie die aufgehebelten Dielenbretter sah, fiel ihr Blick auf das Kästchen. Es stand neben dem Bett auf dem Boden. Der Deckel war zurückgeklappt und offenbarte die gähnende Leere darin.
»Ich habe nur wenig Geduld!« Vladimir schüttelte sie. »Rede!«
Alexandra versuchte noch einmal, sich seinem Griff zu entwinden, da verstärkte er den Druck auf ihren Arm so sehr, dass sie glaubte, er würde ihr den Knochen brechen.
»Lass mich los!«, fuhr sie ihn an.
Er zog sie näher heran. Alexandra mochte ihn um einen halben Kopf überragen, doch an Kraft war sie dem bulligen Mann nicht einmal annähernd ebenbürtig. Kälte stand in seinen moosgrünen Augen und seine Züge waren verzerrt. Der buschige Vollbart bebte unter seinen zornigen Atemzügen. »Ich frage dich jetzt noch einmal im Guten: Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht.«
»Lüg mich nicht an!«, herrschte er und verstärkte seinen Griff, bis Alexandra vor Schmerz aufkeuchte. »Ich werde die Wahrheit aus dir herausbekommen. Wie unangenehm das wird, liegt bei dir.«
»Ich weiß nicht, wo er ist.« Und wenn ich es wüsste, wärst du der Letzte, dem ich es sagen würde!
Mit einem Ruck packte er sie unterhalb des Ellbogens und drehte ihr den Arm auf den Rücken, bis er ihr beinahe die Schulter aus dem Gelenk kugelte.
»Was soll das werden?«, presste sie hervor, bemüht, ihm in die Augen zu sehen. »Wann wirst du mir glauben, dass ich es nicht weiß? Wenn ich tot vor dir liege?«
» Das wäre zumindest überzeugend«, sagte er kalt. »Hast du mir etwas zu sagen?«
Alexandra schüttelte den Kopf.
»Wie du meinst.« Er riss sie herum und ließ sie los. Von seinem Schwung getragen, prallte sie gegen die Wand und fiel auf die Knie. Ein wenig benommen hob sie den Kopf und sah, wie Vladimir auf sie zukam.
»Hör mich an, Vladimir«, sagte sie beschwörend. Wenn er begriff, wie sehr Lucian ihnen geholfen hatte, würde er sich vielleicht davon abbringen lassen, ihn zu jagen. »Er hat den Unendlichen vernichtet. Er allein! Ihm verdanken wir –«
Vladimir blieb stehen und blickte auf sie herab. »Es interessiert mich nicht, was dieses Monster getan hat!«
Ein Blick in seine Züge genügte ihr, um zu erkennen, dass er sich schon aus bloßer Wut nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen würde. Er wird Lucian jagen, weil er ein Vampyr ist – und weil er mich damit bestrafen kann. Vladimir zürnte ihr schon lange. Er konnte nicht verstehen, dass sie Gavrils Gefühle nicht erwiderte, und hielt sie deswegen für kalt. Noch weniger jedoch konnte er ihr verzeihen, dass sie sich mit Daeron und Catherine – zwei Vampyren – verbündet hatte, um das Schwarze Kreuz zu bekommen. Er fühlte sich hintergangen. Was hätte ich denn tun sollen? Sie hatte nicht einmal die Gelegenheit bekommen, ihnen zu sagen, dass sie den Unterschlupf des Unendlichen gefunden hatte. Keiner der drei war da gewesen. Auch nicht, als sie plötzlich dem Unendlichen und seinen Häschern gegenübergestanden hatte. Es war Lucian gewesen, der sie gerettet hatte – keiner der Jäger.
Vladimir wollte nach ihrem Arm greifen, als Mihail ihn zur Seite schob und vor sie trat. Er reichte ihr die Hand und zog sie auf die Beine. Eine Strähne seines glatten, schwarzen Haars hatte sich aus dem Zopf gelöst und hing ihm in die Stirn. Ihm war weder anzusehen, ob er Vladimirs Verhalten befürwortete, noch ließ sich von seinem Gesicht ablesen, ob er ihr grollte. In seinen braunen Augen jedoch stand eine deutliche Warnung. Zwing uns nicht dazu , schienen sie zu sagen.
Auch wenn er nicht zu Gewalt greifen wollte, wusste sie, dass er Vladimir nicht mehr lange zurückhalten würde. Auch er wollte ihn – den letzten Vampyr.
»Vor zehn Jahren haben wir uns geschworen, jede dieser Kreaturen zu vernichten, die unseren Weg kreuzt«, sagte er ruhig. »Hast du das wirklich vergessen? Nach allem, was deiner Familie zugestoßen ist?«
Niemals würde sie jene Nacht vergessen, in der sie ihren Vater ausgeblutet auf der Schwelle zum Hinterzimmer gefunden und der Unendliche seine Zähne in den Leib ihrer sterbenden Mutter geschlagen hatte. Nie. Aber der Unendliche existierte nicht mehr!
»Lucian hat mir das Leben gerettet – und das nicht nur einmal.«
»Jetzt hat das Vieh auch noch einen Namen!«, fuhr Vladimir von hinten dazwischen.
Alexandra versuchte ihn nicht zu beachten und ihre
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