Die Wiedergeburt
Aufmerksamkeit ganz auf Mihail zu richten. Wenn es ihr gelänge, ihn auf ihre Seite zu bringen, konnte er sie vor Vladimirs Zorn schützen. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ihr habt Daeron und Catherine doch auch am Leben gelassen. Warum nicht ihn?«
Mihail schüttelte den Kopf. »Die beiden wurden zu Menschen, ehe wir sie töten konnten. Der Teufel allein weiß, warum dieser Lucian «, er spie den Namen beinahe aus, »sich nicht ebenfalls zurückverwandelt hat.«
Der Teufel und ich. Sie hätte ihm erklären können, warum die Vernichtung seines Zwillingsbruders ihn nicht wieder zum Menschen hatte werden lassen, doch sie bezweifelte, dass ihr überhaupt einer der Männer zuhören würde. Lucians Fluch interessierte sie nicht – nur sein Tod.
»Um unserer Freundschaft willen gebe ich dir noch eine letzte Gelegenheit, unsere Fragen zu beantworten«, fuhr Mihail fort. »Nutze sie! Andernfalls werde ich dich Vladimir überlassen.«
Alexandra wusste, wie erbarmungslos Vladimir sein konnte, sie hatte es oft genug gesehen, wenn sie auf der Jagd gewesen waren. Dieses Mal würde sich seine Erbarmungslosigkeit gegen sie richten.
Nicht, wenn ich es verhindern kann!
Sie stieß Mihail so heftig von sich, dass er gegen Vladimir prallte, und rannte zur Tür. Hinter ihr schrammte etwas über den Boden. Alexandra machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. Sie musste nur aus dem Zimmer entkommen, dann wäre sie – zumindest für den Augenblick – in Sicherheit. Keiner der Jäger würde es wagen, draußen Hand an sie zu legen. Nicht, wenn sie fürchten müssen, dass ich das ganze Gasthaus zusammenschreie. Nur noch zwei Schritte! Sie streckte die Hand nach der Klinke aus. Ehe ihre Finger sie jedoch zu fassen bekamen, wuchs hinter ihr ein Schatten auf. Ein Zischen durchschnitt die Luft, dann traf sie der Stuhl im Rücken. Die Wucht des Aufpralls raubte ihr den Atem und streckte sie nieder. Keuchend rollte sie sich herum und riss schützend die Arme hoch, als ihr der Stuhl ein weiteres Mal entgegenraste. Schmerz explodierte in ihrem Leib. Der Raum verschwamm, Konturen verliefen zu unscharfen Schemen. Irgendwo am Rande ihres Bewusstseins hörte sie, wie jemand etwas rief. War das Gavril, der versuchte, seinen Bruder von einem weiteren Angriff abzuhalten? Ehe sie sehen konnte, woher die Stimme kam, wurde ihr schwarz vor Augen.
Ein Schlag auf die Wange ließ ihre Sinne zurückkehren.
»Sieh mich an!«, drang Vladimirs Stimme durch den Nebel, der ihren Geist umfangen hielt. Sie saß auf dem Stuhl, die Hände auf dem Rücken an die Lehne gefesselt, die Beine an den Knöcheln zusammengebunden. Vladimir packte sie beim Kiefer. Unerbittlich gruben sich seine Finger in ihr Fleisch, pressten gegen den Knochen und renkten ihr fast das Gelenk aus.
Ohne seinen Griff zu lockern, beugte er sich herab, bis seine Nase beinahe die ihre berührte. »Bist du jetzt gesprächiger?« Kleine Speicheltropfen benetzten ihr Gesicht. Das Aroma billigen Weins lag in seinem Atem und mischte sich mit dem derben Schweißgeruch, den er bei jeder Bewegung verströmte.
»Ich weiß nicht, wo er ist!« Der Druck an ihrem Kiefer schmerzte so sehr, dass die Worte ihren Mund nur undeutlich verließen.
»Lüg mich nicht an!«, brüllte Vladimir und fuhr zurück. Alexandra versuchte den Kopf zurückzureißen, als sie sah, wie er mit der Pistole ausholte, doch es war zu spät. Der Kolben traf sie an der Schläfe. Grellrote Blitze explodierten vor ihren Augen und trachteten danach, sie in die Dunkelheit zu stürzen. Blinzelnd kämpfte sie gegen die Schwärze an, konzentrierte sich auf den Schmerz und das warme Blut, das über ihr Gesicht rann. Verschwommen sah sie, wie er erneut ausholte. Sie versuchte den Kopf zur Seite zu drehen, doch mit jeder Bewegung kroch die Finsternis näher.
»Hör auf, Vladimir!« Gavrils Worte rissen Alexandra in die Wirklichkeit zurück. Er packte seinen Bruder am Arm und hinderte ihn daran, erneut zuzuschlagen. »Siehst du nicht, dass sie die Wahrheit sagt!«
Vladimir stieß ihn zurück. »Lässt du dich immer noch von ihr an der Nase herumführen?«
Alexandra wappnete sich gegen den Schlag. Es fiel ihr schwer, die Augen offen zu halten. Als er den Arm hob, fragte sie sich, ob es ihr gelingen würde, zumindest so weit auszuweichen, dass er sie nicht mit voller Härte traf. Sie kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können – und versteinerte, als sie die auf sie gerichtete Pistole sah.
»Hab keine Angst«, sagte er so
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