Die Wiedergeburt
FREUND. Erneut erklang ein Lachen, volltönend und grausam.
Vladimir holte die Flasche Whisky aus dem Schrank, die er dort aufbewahrte. »Das wird dich zum Schweigen bringen!« Er zog den Korken mit den Zähnen heraus und nahm einen tiefen Zug. Heiß rann der Alkohol seine Kehle hinab und entzündete ein warmes Feuer in seinem Innersten.
Doch die Stimme weigerte sich zu verstummen. WILLST DU DICH WIRKLICH VON IHR VORFÜHREN LASSEN?
Vladimir nahm noch einen Schluck Whisky.
SIEH DIR DAS KREUZ AN, forderte ihn die Stimme auf, und als er sich nicht rührte, donnerte sie: SCHAU ES DIR AN!
Nur zögernd kehrte Vladimir zum Tisch zurück. Einen Moment stand er unentschlossen da, ließ den Blick zwischen dem Kreuz und dem Raum hin und her wandern. Was, wenn es eine Falle war? Womöglich sollte er durch das Kreuz nur abgelenkt werden, um nicht zu bemerken, wenn er angegriffen wurde. Er hatte sich im Raum umgesehen. Hier war niemand! Vielleicht ist es ein Vampyr. Vladimir hielt es für möglich, dass diese Kreaturen über Fähigkeiten verfügten, an die er nicht einmal im Traum dachte. Sich unsichtbar zu machen, konnte durchaus eine davon sein. Wenn er sich jedoch nicht sehr irrte, existierte nur noch ein einziger Vampyr – und der hatte nur wenig Grund, sich mit ihm zu unterhalten.
Schließlich legte er die Pistole auf den Tisch zurück und griff nach dem Schwarzen Kreuz. Es fühlte sich kalt und glatt an, als wäre es aus Stahl und nicht aus Ebenholz. Kalt und tot. Den Blick auf die verschlungenen Ornamente gerichtet, drehte er es zwischen seinen Fingern. »Was soll damit sein?«
SIEH GENAU HIN!
Noch einmal ließ er seinen Blick darüber wandern, dann entdeckte er die Vertiefung, die ihm zuvor inmitten der Ornamente nicht aufgefallen war. Etwas fehlte. Der Splitter des Wahren Kreuzes!
SIE HAT DICH HEREINGELEGT!, verspottete ihn die Stimme. ES IST UNVOLLSTÄNDIG. DESHALB HAT DIE JÄGERIN ES DIR ÜBERLASSEN!
Fluchend legte Vladimir das Kreuz wieder auf den Tisch und trat einen Schritt zurück. Kein Wunder, dass der Vampyr in der Nähe des Kreuzes keinerlei Furcht gezeigt hatte. »Dieses verdammte Miststück!«
ES GIBT EINEN WEG, DEN VAMPYR ZU BINDEN!
»Welchen?«
KOMM NÄHER, lockte die Stimme ihn zum Tisch. ICH ZEIGE DIR, WAS DU BRAUCHST. DU MUSST NUR DIE INGREDIENZIEN BESCHAFFEN. KOMM!
»Ich bewege mich keinen Zoll, ehe du mir nicht gesagt hast, was du bist!«
ICH VERFÜGE ÜBER WISSEN, VON DEM DU NICHT EINMAL ZU TRÄUMEN WAGST. Mit einemmal klang die Stimme sanft und schmeichlerisch. VERBÜNDE DICH MIT MIR, UND ICH WERDE DIR HELFEN, DAS WEIB UND IHRE KREATUR ZU VERNICHTEN!
»Ich bin nicht wie sie!«, stieß Vladimir zornig hervor. »Ich paktiere nicht mit finsteren Mächten!«
Das Gelächter, das seinen Worten folgte, hallte laut durch den Raum. Womöglich war es auch nur in seinem Kopf. Vielleicht werde ich verrückt!
ICH KANN DIR VERSICHERN, DASS MIT DEINEM VERSTAND ALLES IN ORDNUNG IST, JÄGER. Die Worte waren kaum verklungen, als Nebel aus der Oberfläche des Kreuzes aufwallte. Er schien geradewegs dort zu entstehen, wo sich einst der Splitter befunden hatte, verdichtete sich langsam und kroch Vladimir entgegen. FÜRCHTE DICH NICHT. Diesmal gelang es ihm, den Ursprung der Stimme auszumachen. Sie kam aus dem Zentrum des Nebels. WENN ES DIR HILFT, STELL DIR VOR, ICH WÄRE DIE HEILIGE ESSENZ DIESER RELIQUIE, GESCHAFFEN, UM DIR AUF DEINEM KREUZZUG ZUR SEITE ZU STEHEN.
Vladimir wollte sich abwenden, als der Nebel sein Gesicht berührte, doch er vermochte nicht, sich zu bewegen. Zur Reglosigkeit verdammt, musste er ertragen, wie der Nebel in seine Augen kroch, beißend und brennend seinen Kopf und Geist zu erfüllen schien.
DU BIST NUN NICHT MEHR ALLEIN! Diesmal erklang die Stimme unmittelbar aus seinem Innersten, drängte sein Bewusstsein zur Seite und verschaffte sich dort Platz. Hilflos musste Vladimir miterleben, wie sie seinen Verstand mehr und mehr in eine Ecke seines Ichs zurückdrängte, während sie selbst immer mehr Raum in seinem Innersten einnahm. Schon bald fühlte er sich nur noch wie ein Gast in seinem eigenen Körper, gefangen und dazu verdammt, zu beobachten, ohne eingreifen zu können. Und noch immer vernahm er die Stimme jener Wesenheit, die von seinem Leib Besitz ergriffen hatte: BALD SCHON WIRD MEIN BRUDER TOT SEIN!
6
Lucian hatte die Vorhänge wieder vorgezogen und sich den Sessel ans Bett gestellt. Seitdem saß er dort und betrachtete die Jägerin. Wann immer sie sich im Schlaf
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