Die Wiedergeburt
Mentors durch halb Europa und fand ihn schließlich in Paris. Der Vampyr hatte versucht, ihn fortzuschicken – um ihn zu schützen, wie er sagte –, doch Robert hatte sich geweigert. »Sie sind das wohl beängstigendste Wesen, dem ich je begegnet bin – zugleich sind Sie die einzige Familie, die ich je hatte.«
»Wo ich bin, werden immer andere meinesgleichen sein. In meiner Nähe wärst du in ständiger Gefahr.«
»Das macht mir nichts aus.« Das war die Wahrheit. »Ich weiß, dass Sie nach etwas suchen. Es geht Ihnen nicht nur darum, Ihren Bruder Andrej zu vernichten. Sie treibt noch etwas anderes an – wenngleich ich nicht weiß, was das sein mag. Es gibt Dinge, die Sie trotz Ihrer Fähigkeiten nicht tun können, Nachforschungen im Sonnenlicht zum Beispiel. Abgesehen davon brauchen womöglich selbst Sie von Zeit zu Zeit jemanden, der misstrauische oder neugierige Menschen von Ihnen fernhält.«
Robert fürchtete, dass Lucian dennoch versuchen würde, ihn fortzuschicken, stattdessen sagte dieser: »Es gibt eine Frau, die mein Schicksal ist. Nach ihr suche ich.«
Lucian hatte auch weiterhin versucht, ihn zum Gehen zu bewegen. »Willst du riskieren, eines Tages doch noch den Kreaturen meines Bruders zum Opfer zu fallen?«
»Es gibt einen Weg, das zu verhindern.«
»Diese Existenz ist nichts, das du Leben nennen kannst. Ich werde dich nicht mit demselben Fluch belegen, der mein Dasein überschattet.«
Sie hatten lange darüber gestritten, doch Lucian hatte sich standhaft geweigert, ihm den Kuss des Blutes zu geben. Da war Robert auf den Gedanken gekommen, die Umwandlung durch einen anderen Vampyr vollziehen zu lassen. Ein Unterfangen, das ihn beinahe das Leben gekostet hatte. Wäre Lucian nicht rechtzeitig erschienen und dazwischengegangen, hätte die Kreatur ihn ausgesaugt.
In der Nacht, als der Vampyr ihm beinahe das Leben nahm, hatte er in den Abgrund jener Existenz geblickt, die er für derart erstrebenswert gehalten hatte. Er erfuhr am eigenen Leib den Blutdurst, der ihn nach der Umwandlung zu den Menschen treiben würde, und bezweifelte, dass er Lucians Stärke haben würde, der stetigen Versuchung zu widerstehen. »Ich denke, ich bleibe lieber bei Bohnen mit Speck.«
Eine Bemerkung, die Lucian zum Lachen gebracht hatte, denn seit die beiden gemeinsam unterwegs waren, beklagte er sich über den Geruch von Roberts Lieblingsgericht. »Ich weiß wirklich nicht, wie du dieses Zeug essen kannst«, pflegte Lucian zu sagen.
»Ähnliches ließe sich wohl auch über deine Ernährungsgewohnheiten sagen«, bemerkte Robert trocken.
Lucian seufzte. »Touché.« Dann wurde er wieder ernst. »Ich hoffe, du begreifst jetzt, wie wenig erstrebenswert es ist, wie ich zu sein.«
Robert hatte es niemals wieder vergessen.
Im Laufe der Jahre war aus der anfänglichen Beziehung zwischen Mentor und Schüler eine tiefe Freundschaft geworden. Robert war mittlerweile beinahe dreißig, und Lucian sah noch immer aus wie damals, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren – keinen Tag älter als Mitte zwanzig.
Robert nahm die Pfanne vom Herd und kippte ihren Inhalt auf einen Teller. Während der letzten Wochen hatte sich die Welt verändert. Lucian hatte ihn nach Glasgow geschickt, um einer Spur zu folgen und Nachforschungen anzustellen. Doch so sehr Robert auch Archive und Bibliotheken durchforstete, seine Recherchen blieben erfolglos. Er fand nicht das geringste Anzeichen, das auf den Verbleib des Unendlichen oder des Kreuzes, durch das er vernichtet werden konnte, hingedeutet hätte. Schließlich hatte er aufgegeben und war nach Edinburgh gekommen, um Lucian von seinem Fehlschlag zu berichten. Statt sich jedoch einen Bericht über seine Misserfolge anzuhören, hatte Lucian selbst unglaubliche Neuigkeiten. Er hatte Robert bewusst von Edinburgh ferngehalten, nachdem er erfahren hatte, dass sein Bruder hier war. Es war ihm nicht nur gelungen, den Unendlichen aufzuspüren – das war nie das eigentliche Problem gewesen –, sondern auch, ihn zu vernichten. Nach all den Jahren war es nun endlich vorbei, Andrej Mondragon und seine Brut gehörten endgültig der Vergangenheit an. Trotzdem wirkte Lucian nicht glücklich. Nicht einmal zufrieden. »Mein Schicksal hat sich noch nicht erfüllt«, sagte er nachdenklich. »Womöglich wird das niemals geschehen.« Erst an diesem Abend, Jahre, nachdem Robert von der Frau gehört hatte, nach der Lucian suchte, erfuhr er, wie dieses Schicksal aussah. Und das beunruhigte ihn noch
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