Die Wiederkehr
Knochen
neu wachsen zu lassen.
Abu Dun war schließlich auch seit Jahrzehnten ein Vampyr und besaß genügend Erfahrung darin, seine übernatürlichen Kräfte zu nutzen. Sicher - vielleicht war Abu Dun in dieser Hinsicht auch talentierter, als er es gewesen war. Aber vielleicht war er nach all den
Jahren der Beherrschung auch der Verlockung des Blutes erlegen.
Wie so viele vor ihm.
Andrej erschauerte. Bisher war es ihm gelungen, diese Gedanken
zu verdrängen. Vielleicht hatte Abu Dun tatsächlich die Bestie in
sich entfesselt und das Blut seiner Feinde getrunken. Dann war der
Mann, der in den letzten Jahrzehnten sein einziger wirklicher Gefährte gewesen war, zum blutrünstigen Vampyr geworden, und Andrejs
Freundschaft hatte wieder einmal einem geliebten Menschen das
Verderben gebracht.
Im Grunde konnte Andrej dem Nubier nicht einmal einen Vorwurf
machen. Er hatte ihn alles gelehrt, was er selbst so mühsam und in so
vielen Jahren hatte lernen müssen, und natürlich hatte er ihn wieder
und immer wieder davor gewarnt, der Verlockung des Blutes nachzugeben. Aber er wusste auch, wie gewaltig die Versuchung war.
Auch er hatte die Stimme des Verführers an diesem Tag mehr als
einmal gehört, und es war ihm mehr als nur einmal und mit letzter
Willensanstrengung gelungen, ihr zu widerstehen. Das Töten. Die
Schreie der Verwundeten und Sterbenden. Der süßliche, allgegenwärtige Blutgeruch und das Wissen, welch ungeheure Kraft zum
Greifen nahe vor ihm lag, hätten ihn beinahe übermannt. Die Bestie
in ihm gab niemals Ruhe. Er hatte im Laufe der Zeit gelernt, sie im
Zaum zu halten, aber nicht, sie zu besiegen. Sie wartete unermüdlich
darauf, dass er nachlässig wurde, dass sich die Fesseln lockerten, die
er ihr angelegt hatte, dass es einen Moment der Unachtsamkeit gab,
in der sie ihre Giftzähne in seine Seele schlagen konnte. Wie also
konnte er Abu Dun einen Vorwurf machen, wenn er dem Verlangen
nachgab?
Andrej seufzte. In den ersten Jahren nach Abu Duns Wandlung hatte es so ausgesehen, als sei der Nubier stark genug, um sich in seiner
neuen Existenzweise zurechtzufinden. Der Lockruf des Blutes konnte ihm nichts anhaben. Hatte sich das nun geändert? Anscheinend
war er ein schlechter Lehrer gewesen. Und nicht zum ersten Mal. Er
hatte es nicht geschafft, Frederic vor dem zu schützen, was in ihm
schlummerte, und vielleicht drohte das gleiche Schicksal jetzt auch
Abu Dun. Seine Feindschaft hatte vielen den Tod gebracht, aber vielleicht brachte seine Freundschaft etwas noch viel Schlimmeres.
Unwillig schüttelte Andrej den Kopf, als ihm bewusst wurde, dass
er wieder einmal in Selbstmitleid zu versinken drohte. Er war überrascht, dass er ausgerechnet jetzt an Frederic denken musste. Es war
Jahrzehnte her, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte, selbst im Leben eines Unsterblichen eine lange Zeit, und er hatte sich oft gefragt,
was wohl aus ihm geworden war.
Mit einem erneuten Seufzen griff er nach dem Weinkrug, um seinen Becher wieder zu füllen, musste aber feststellen, dass er leer war.
Müde hob er die Hand und winkte Mahk, den bestellten neuen Krug
endlich zu bringen.
Andrej wusste nicht, wie lange er bereits allein am Tisch gesessen
hatte. Er brütete dumpf vor sich hin und trank gelegentlich einen
Schluck Wein. Seine Hoffnung, dass Abu Dun sich rasch beruhigen
und zurückkehren würde, hatte sich nicht erfüllt. Offenbar hatten
seine Worte ihn doch mehr verletzt, als er zunächst angenommen
hatte. Möglicherweise gerade deshalb, weil sie der Wahrheit nahe
kamen.
Andrej war noch immer genauso verwirrt und verunsichert wie zuvor. Schon vor einer geraumen Weile hatte Malik ihm unaufgefordert
einen dritten Krug hingestellt, den er mittlerweile ebenfalls fast völlig geleert hatte. Die erhoffte Wirkung blieb jedoch aus. Obwohl Andrej wusste, dass er es am nächsten Tag bitter bereuen würde, bedeutete er dem Wirt mit einem Wink, ihm noch einen Krug Wein zu
bringen. Er fühlte eine angenehme Mattigkeit in seinen Gedanken,
aber er war noch weit davon entfernt, betrunken zu sein oder gar zu
vergessen.
Jedenfalls redete er sich das ein.
Malik brachte ihm den bestellten Krug und stellte ihn auf den
Tisch, wobei er Andrej unschlüssig musterte, sich dann aber entschied, ihn doch nicht anzusprechen und wortlos zur Theke zurückging. Zwar hatten er und Abu Dun an den vergangenen Abenden
stets einen Krug Wein bestellt, doch meist hatte er nur einen Becher
davon getrunken und den Rest dem
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