Die Wiederkehr
Andrej die Decke zurück und
blinzelte verständnislos auf den breiten weißen Verband hinab, der
seinen linken Oberarm und einen Teil der Schulter bedeckte.
»Du solltest dich nicht zu hastig bewegen«, riet ihm Abu Dun.
»Nach der langen Zeit könnte dir übel werden.« Er hob die Schultern. »Jedenfalls hat der Medicus das gesagt.«
»Welcher Medicus?«, fragte Andrej.
Wieder hob Abu Dun die Schultern. »Er ist schon auf dem Weg
hierher«, sagte er ausweichend. »Aber ich glaube, er hat Recht. Du
siehst nicht gut aus. Bleib lieber liegen, bis er dich untersucht hat.«
Andrej hätte vermutlich nicht einmal aufstehen können, wenn er es
gewollt hätte. Er fühlte sich so schwach wie ein neugeborenes Kind.
Die unvorsichtige Bewegung hatte ein dumpfes Pochen in seiner
Schulter geweckt, das sich allmählich zu einem quälenden Schmerz
steigerte. Außerdem war irgendetwas mit seinem Gesicht nicht in
Ordnung. Es tat ebenfalls weh und die Haut unter seinem linken Auge spannte. Er hob die Hand, um nach der Stelle zu tasten, aber Abu
Dun griff rasch zu und hielt sein Handgelenk fest.
»Nicht jetzt«, sagte er.
Andrej riss seinen Arm los, versuchte aber nicht noch einmal, nach
seinem Gesicht zu greifen. »Was zum Teufel geht hier vor?«,
schnappte er.
»Du erinnerst dich nicht?«, fragte Abu Dun, dessen Blick noch besorgter wurde.
Andrej bemühte sich, aber hinter seiner Stirn war nur ein wirres
Durcheinander von Bildern und sinnlosen Szenen, die etwas bedeuten mochten. Sie waren in den Katakomben gewesen, und Abu Dun
hatte mit Frederic gekämpft, aber dann… Er schüttelte den Kopf.
»Du warst krank«, erklärte Abu Dun. »Ziemlich lange und ziemlich
schwer.«
»Krank?« Andrej starrte den Nubier aus aufgerissenen Augen an.
»Was redest du für einen Unsinn? Menschen unserer Art werden
nicht krank.«
»Du warst es aber«, beharrte Abu Dun. »Sehr schwer. In den ersten
Tagen war ich fast sicher, dass du sterben würdest. Selbst der Medicus hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben.«
»In den ersten Tagen?«, ächzte Andrej. »Was soll das heißen? Wie
lange bin ich schon hier?«
»Über eine Woche«, sagte eine Stimme von der Tür aus.
Andrej drehte so hastig den Kopf, dass genau das passierte, was
Abu Dun ihm prophezeit hatte - ihm wurde übel. Er ließ sich mit
zusammengebissenen Zähnen zurücksinken, während er versuchte,
das Gesicht des kleinwüchsigen, feisten Mannes einzuordnen, der
soeben den Raum betrat. Wenn es der Medicus war, von dem Abu
Dun gesprochen hatte, dann musste er draußen vor der Tür gewartet
haben.
»Aber wie ich sehe, scheint Ihr die Zeit ja einigermaßen gut überstanden zu haben«, sagte der Mann.
Andrej zerbrach sich immer angestrengter den Kopf. Er kannte dieses Gesicht, aber er wusste einfach nicht, woher. Nur, dass er keine
angenehme Erinnerung damit verband. Es war… »Breiteneck!«
Er wollte auffahren, aber Abu Dun drückte ihn mit sanfter Gewalt
auf das Bett zurück und schüttelte rasch den Kopf. »Es ist alles in
Ordnung«, beschwichtigte er Andrej. »Meister Breiteneck steht auf
unserer Seite.«
Andrejs Erinnerungsvermögen funktionierte zwar noch immer nicht
richtig, aber doch hinlänglich genug, um Abu Duns Behauptung als
lächerlich zu entlarven. Er wollte sich erneut aufrichten, und diesmal
musste Abu Dun schon deutlich mehr als nur sanfte Gewalt anwenden, um ihn davon abzuhalten.
»Ich kann Euch verstehen, Delãny«, begann Breiteneck leise. »Ich
erkläre Euch gern alles, aber lasst mich zuerst Eure Wunden sehen.«
Abu Dun stand auf, damit der Medicus auf seinem Stuhl Platz nehmen konnte, und eilte aus dem Zimmer, als Breiteneck ihn bat, Wasser und frisches Verbandszeug zu holen. Andrej sah ihm verwirrt
nach.
»Ein wirklich beachtenswerter Mann«, sagte Breiteneck. »Ihr könnt
Euch glücklich schätzen, einen solchen Freund zu haben. Er ist während der ganzen Zeit keinen Moment von Eurem Bett gewichen. Darf
ich?«
Die letzten Worte klangen nur wie eine Frage, auf die Breiteneck
aber ganz offensichtlich keine Antwort erwartete, denn er beugte sich
vor und begann ebenso schnell wie geschickt, aber mit wenig Zartgefühl, den Verband von Andrejs Schulter zu wickeln. Die Wunde, die
darunter zum Vorschein kam, war kleiner, als Andrej erwartet hatte,
wenn er bedachte, wie sehr sie schmerzte, aber sie sah entzündet aus,
und vor allem - es hätte sie gar nicht geben dürfen.
Breiteneck zumindest schien mit dem, was er sah, äußerst zufrieden
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