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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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lächerlich!
»Eine Krankheit des Körpers und bei manchen auch des Geistes«,
beharrte Breiteneck. »Ich hoffe, ich nehme Euch damit keine Illusionen, aber das ist der Schluss, zu dem ich nach langen Jahren der Forschung gekommen bin.«
Das ist lächerlich, dachte Andrej noch einmal. Absolut lächerlich.
Aber war es das wirklich? Er starrte Breiteneck an, doch der Medicus hielt seinem Blick ruhig stand, und was Andrej in seinen Augen
las, das ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Wie
viele seiner eigenen Art hatte er schon sterben sehen, zerrissen von
Krämpfen und verzehrt von einem Fieber, das ohne Vorwarnung
kam und sie binnen Stunden von innen heraus verbrannte? Da war
dieses Mädchen gewesen - er hatte sogar ihren Namen vergessen -
das ihm für wenige kostbare Stunden das Gefühl gegeben hatte, nicht
mehr allein zu sein, bevor es in seinen Armen gestorben war. Und
das, was es über sich und seine Familie erzählt hatte, und…
Nein! Er schüttelte so heftig den Kopf, dass ihm schon wieder
schwindelig wurde.
»Eine Krankheit«, beharrte Breiteneck, leise, aber auch sehr ruhig
und vollkommen unbeeindruckt von seiner heftigen Reaktion. »Sie
ist nicht einmal so selten. Ich glaube, dass es Menschen wie euch
schon immer gegeben hat und immer geben wird.«
»Das ist kompletter Unsinn«, schrie Andrej. Die Worte sprudelten
aus ihm heraus. Da war keine Überzeugung in seiner Stimme, nur
Trotz. Vielleicht Verzweiflung. Dennoch fuhr er mit einem fast Hilfe
suchenden Blick in Abu Duns Richtung - der diesem geflissentlich
auswich - fort: »Wenn Ihr so viel über uns zu wissen glaubt, Breiteneck, dann solltet Ihr auch wissen, dass wir unsterblich sind. Wir altern nicht! Wäre es eine Krankheit - womöglich eine, die ansteckend
ist! -, dann müsste die Welt voll mit Menschen unserer Art sein und
Euch gäbe es schon lange nicht mehr!«
Aus einem Grund, den er nicht nachvollziehen konnte, schienen
diese Worte Breiteneck zu erfreuen. »Ihr seid ein scharfsinniger
Mann, Andrej«, sagte er. »Ihr erinnert mich an manche meiner Studenten. Die Klügsten. Aber Ihr begeht auch denselben Fehler, den
viele von ihnen begangen haben. Ihr seht nur das Offensichtliche.«
»Ja, dass Ihr Unsinn redet!«, blaffte Andrej.
»Auch die Blattern gibt es, seit es Menschen gibt«, erwiderte Breiteneck ruhig. »Und andere, noch viel schlimmere Krankheiten. Dennoch sind die meisten Menschen gesund. Vielleicht hat es die Natur
so eingerichtet, dass keine Art der anderen ihren angestammten Platz
streitig macht. Davon abgesehen: Ihr seid nicht unsterblich. Ihr altert.
Wenn auch sehr langsam.«
»Unsinn!«, beharrte Andrej. Breiteneck antwortete nicht. Warum
auch? Andrej war selbst klar, dass er sich wie ein verwundetes Tier
benahm, das blindwütig um sich biss. Breiteneck hatte Recht. Tief in
sich spürte er es. Hatte er es immer schon gespürt.
»Die meisten, die von der Krankheit befallen werden, sterben«, fuhr
Breiteneck fort. »Nur sehr wenige überleben das Fieber. Ich glaube,
dass die meisten dieser Unglücklichen lieber gestorben wären, denn
sonst werden sie lebendig begraben oder verbrannt oder fallen dem
Wahnsinn anheim.«
Er sah Andrej jetzt wieder direkt in die Augen. »Habt Ihr Euch nie
gefragt, woher all die Geschichten von Widergängern und lebenden
Toten kommen, Andrej?« Er begann seine Worte mit ausladenden
Gesten zu unterstreichen, und seine Betonung änderte sich abermals.
Er war nun vollends in den Hörsaal der Universität zurückgekehrt
und hielt seinen Studenten einen Vortrag. Andrej wollte eine Frage
stellen, doch Abu Dun unterbrach ihn mit einem warnenden Blick
und einem hastigen, angedeuteten Kopfschütteln. Lass ihn reden.
»Das sind wohl die bedauernswertesten Opfer«, fuhr Breiteneck
fort. »Die Unglücklichen, die bei lebendigem Leibe begraben werden, und deren Geist an dem Grauen zerbricht, sich in einem Sarg
tief unter der Erde wieder zu finden.« Er schüttelte mit einem tiefen
Seufzen den Kopf, und auch Andrej spürte ein neuerliches, eisiges
Frösteln, als er sich vorzustellen versuchte, wie es sein musste, so aufzuwachen. »Einige wenige jedoch scheinen das Glück zu haben,
unbeschadet wieder von ihrem vermeintlichen Totenlager aufzustehen. Sie werden so wie Ihr, Delãny, und Euer Freund.«
Andrej setzte dazu an, Breiteneck darauf hinzuweisen, dass Abu
Dun keineswegs gestorben war, doch er fing auch jetzt wieder ein
warnendes Kopfschütteln des Nubiers auf,

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