Die Wiederkehr
und diesmal wirkte sein
Blick geradezu erschrocken. Andrej begriff, dass Breiteneck tatsächlich nicht alles über Abu Dun und ihn wusste. Er bedeutete dem Medicus mit einem Nicken fortzufahren.
»Ihr seid keine Ungeheuer, Delãny«, sagte Breiteneck in fast sanftem Ton. Auch sein Blick wurde auf sonderbare Weise weich.
Er war jetzt ein Arzt, begriff Andrej, der mit einem Patienten
sprach. Dieser sonderbare Mann verwirrte ihn immer mehr. Normalerweise vermochte er Menschen sehr schnell und mit großer Sicherheit richtig einzuschätzen, aber Breiteneck erschien ihm immer rätselhafter, je länger er ihm gegenübersaß. Er wusste nicht einmal, ob
er ihm trauen konnte.
»Ihr seid nur Menschen, denen ein seltenes Schicksal widerfahren
ist. Glaubt Ihr an Gott, Andrej Delãny?«
Die Frage ließ Andrej misstrauisch werden. Die ehrliche Antwort
wäre ein klares Nein gewesen, denn wie konnte er an einen Gott
glauben, der eine Welt erschaffen hatte, die beinahe nur aus Leid und
Schmerzen bestand und in der die meisten Menschen ein Dasein fristeten, das alles andere als angenehm war? Er wollte nicht an einen
solchen Gott glauben. Dennoch hob er nur andeutungsweise die
Schultern. Er hatte zu viele schlechte Erfahrungen mit der Beantwortung dieser Frage gemacht, um es leichtfertig zu tun.
»Wenn Ihr es tut, dann gebt ihm nicht die Schuld an dem, was Euch
widerfahren ist. So zynisch es Euch auch erscheinen mag, aber die
Wahrheit ist, Ihr habt einfach Pech gehabt.«
»Ja, zum Vampyr geworden zu sein«, sagte Andrej bitter.
Breiteneck schien wütend zu werden. »Redet nicht so ein dummes
Zeug!«, schnappte er. »Ihr glaubt doch diesen Unsinn nicht etwa,
dass Ihr das Blut sterblicher Menschen trinken müsst, um am Leben
zu bleiben, oder?«
Selbstverständlich schüttelte er den Kopf - er wusste, dass es nicht
so war - aber er konnte nicht verhindern, dass sein Blick kurz und
ebenso zweifelnd auf Abu Duns Gesicht verharrte. Er hasste sich
dafür.
»Euer Freund hat Marco nicht getötet«, sagte Breiteneck unvermittelt. »Ich muss das wissen, glaubt mir. Schließlich war ich dabei.«
»Ihr habt es gesehen?«, fragte Andrej überrascht.
Breiteneck nickte. Für einen Moment umwölkte sich sein Blick.
Der Junge hatte ihm viel bedeutet. »Nein«, sagte er schließlich. »Aber ich weiß, wer es war.«
»Wer?«, fragte Andrej.
»Der andere«, sagte Abu Dun rasch. »Unser Freund aus den Katakomben.« Er wollte unter allen Umständen verhindern, dass er den
Namen Frederic aussprach, aber Andrej fand, dass er es allmählich
übertrieb. Man musste nicht die Gedanken des Medicus lesen, um zu
bemerken, dass Breiteneck bereits misstrauisch geworden war.
»Er tauchte eine Woche vor Euch auf«, sagte Breiteneck leise.
»Vielleicht auch eher, doch wenn, dann habe ich ihn erst dann bemerkt. An dem Tag, an dem der erste Tote mit durchbissener Kehle
und ohne Blut aufgefunden wurde.«
»Von Salm hat behauptet, es hätte begonnen, als wir in die Stadt
kamen«, warf Andrej ein.
»Von Salm.« Breiteneck wiederholte den Namen auf sonderbare
Weise und mit einem angedeuteten Lächeln. Das war seine einzige
Antwort. Doch sie genügte Andrej.
»Wir haben mehr als einmal versucht, ihn zu töten«, fuhr Breiteneck nach einer winzigen Pause fort. »Doch er ist uns jedes Mal entkommen.«
»Ihn töten?«, wiederholte Andrej. »Warum?«
Breiteneck seufzte. »Nicht alle sind so wie Ihr und Euer Freund,
Delãny«, sagte er ernst. »Manche werden wahnsinnig und andere
vielleicht böse. Es liegt große Macht darin, tausend Jahre zu leben
und beinahe unverwundbar zu sein. Nicht jeder widersteht der Verlockung dieser Macht. Vielleicht sogar nur die wenigsten.«
Oder am Ende gar keiner, dachte Andrej. Er schwieg.
»Was geschehen ist, tut mir Leid«, fuhr Breiteneck fort. »Es war allein meine Schuld. Ich dachte, ihr gehört zu ihm.«
»Dem anderen Vampyr?«, fragte Andrej. Diesmal schien Breiteneck keinen Anstoß an diesem Wort zu nehmen. Er nickte nur. »In
dieser Nacht war ich fest entschlossen, Euch zu töten. Gottlob wurden wir daran gehindert, auch wenn der Preis hoch war.«
»Marco«, vermutete Andrej. Als Breiteneck nickte, fügte er hinzu:
»War er Euer Sohn?«
»Mein Sohn?« Breiteneck lächelte auf sonderbare Weise. »Nein.
Aber er war wie ein Sohn für mich.«
»Das tut mir Leid«, sagte Andrej, und die Worte waren ehrlich gemeint. Es war lange her, dass er denselben Schmerz verspürt hatte,
den auch Breiteneck jetzt fühlte. Aber er
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