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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zitterten sacht. Zum ersten Mal,
seit Andrej den greisen Verteidiger Wiens kennen gelernt hatte,
glaubte er das ungeheure Gewicht der Verantwortung zu sehen, das
auf seinen Schultern lastete.
»Es freut mich zu sehen, dass Ihr Euch auf dem Wege der Besserung zu befinden scheint, Andrej«, sagte von Salm, nachdem die
Wache sie hereingeführt und Andrej auf dem freien Stuhl vor seinem
Tisch Platz genommen hatte.
Es gab einen zweiten Stuhl, doch Abu Dun verzichtete darauf, sich
ebenfalls zu setzen. Er hatte hinter Andrej Aufstellung genommen.
Andrej sah sich nicht um, aber er war sicher, dass er die Arme vor
der Brust verschränkt und sein grimmigstes Gesicht aufgesetzt hatte.
Tief im Inneren war Abu Dun trotz allem ein Kind geblieben, das
sich keinen dramatischen Auftritt entgehen ließ.
»Bitte verzeiht mir, dass ich nicht zu Euch gekommen bin, aber ich
habe sehr viel zu tun - und ich hasse Besuche am Krankenbett.« Er
zog eine Grimasse. »Wenn man erst einmal ein gewisses Alter überschritten hat, dann meidet man alle Gelegenheiten, bei denen einem
die eigene Sterblichkeit vor Augen geführt wird.«
Andrej erwiderte nichts. Von Salm hatte sie nicht kommen lassen,
um zu plaudern. Vielleicht war das einzig wirklich Wahre, das er
bisher gesagt hatte, wie knapp seine Zeit bemessen war.
»Ein wenig Bewegung tut mir ganz gut«, befand Andrej. »Was ist
inzwischen geschehen? Wie steht es um die Stadt?«
Von Salm warf ihm einen raschen, dankbaren Blick zu, aber seine
Mine verfinsterte sich sofort. »Nicht gut«, antwortete er. »Bisher
halten wir Solimans Truppen noch Stand, aber nur Gott allein weiß,
wie lange uns das noch gelingen mag. Die Muselmanen haben ihre
Taktik geändert.«
»Inwiefern?«
Statt direkt zu antworten, stemmte sich von Salm mit unübersehbarer Mühe aus dem Sessel hoch, wandte sich in Richtung des Fensters
und bedeutete Andrej mit einer Geste, ihm zu folgen.
Das Fenster führte auf die Straße hinaus, über die Andrej schon
mehrmals zu von Salms provisorischem Hauptquartier gekommen
war. Sie war vollkommen leer, obwohl die Sonne bereits hoch am
Himmel stand und es auf Mittag zugehen musste. Aber das war es
nicht, was von Salm ihm zeigen wollte.
Das Fenster lag nach Osten, und da sie sich im dritten Stock des
Gebäudes befanden, konnten sie den Großteil der Stadt bis fast hin
zum Osttor überblicken. Schwarze Rauchwolken stiegen über der
Stadtmauer in die Höhe.
»Kanonen?«, fragte Andrej.
Von Salm schüttelte stumm den Kopf. »Gottlob scheinen sie wenig
schweres Belagerungsgerät zu besitzen«, sagte er. »Meine Spione
berichten mir, dass ihr Aufbruch sehr überhastet erfolgte, und nicht
gut vorbereitet. Und nun steht der Winter vor der Tür.« Er lächelte
flüchtig. »Wie es aussieht, haben wir doch noch einen Verbündeten.
Das Wetter.«
»Der Winter wird in diesem Jahr früh kommen«, bestätigte Abu
Dun. »Und einer lang anhaltenden Kälte sind sie nicht gewachsen.
Sie sind weder darauf vorbereitet, noch sind sie sie gewohnt.«
»Dann brauchen wir nur auszuhalten, bis der erste Schnee fällt?«,
fragte Andrej. Sein Blick löste sich von den trägen schwarzen
Rauchwolken, die sich über der Mauer erhoben wie die verwachsene
Hand eines Riesen, und suchte den Himmel ab. Dort, wo er nicht von
Rauchschwaden verhangen war, zeigte er sich vollkommen wolkenlos und in strahlendem Blau. Das Zimmer war gut geheizt, sodass
Andrej nichts über die Temperaturen draußen sagen konnte. Es sah
allerdings nicht so aus, als würde es in den nächsten Stunden zu
schneien beginnen. Oder auch nur in den nächsten Tagen.
»Wenn wir so lange durchhalten, ja«, seufzte von Salm. »Sultan
Soliman mag kein besonders geschickter Stratege sein, aber er ist
kein Dummkopf. Er weiß, dass die Zeit und das Wetter gegen ihn
sind. Deshalb verdoppelt er jeden Tag seine Anstrengungen, die
Mauern zu erstürmen.« Er wies wieder nach Osten. »Wiens Wälle
sind fest, Andrej. Die wenigen Feldschlangen, die Soliman mitgebracht hat, vermögen ihnen keinen ernsthaften Schaden zuzufügen.
Aber vor einigen Tagen haben seine Krieger damit begonnen, Stollen
zu graben. Ein paar Fässer mit Schießpulver an der richtigen Stelle…« Er schloss die Hand zur Faust und öffnete sie dann ruckartig
wieder, um eine Explosion anzudeuten.
»Was unternehmt Ihr dagegen?«, wollte Andrej wissen.
Von Salm hob die Schultern, ohne den Blick vom Fenster zu lösen.
»Das Übliche«, sagte er. »Sie graben Tunnel, und wir

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