Die Wiederkehr
hatte ihn nicht vergessen.
»Vielleicht war es die gerechte Strafe des Schicksals dafür, dass ich
mich zum Richter über Leben und Tod aufgeschwungen habe«,
murmelte Breiteneck. »Ich bin jedenfalls froh, dass Euch nichts passiert ist. Und für das, was ich Euch angetan habe, bitte ich Euch um
Vergebung.«
»Mir angetan?«, wiederholte Andrej verständnislos.
Der Medicus deutete auf den Verband, den er gerade frisch über die
Wunde in seiner Brust gelegt hatte. »Die Verletzung.«
»Ihr habt nicht geschossen«, erinnerte Andrej ihn.
»Aber es war mein Pfeil, der Euch verwundet hat«, beharrte Breiteneck.
Andrej nickte. »Er war vergiftet«, vermutete er.
Breiteneck nickte, und Andrej fügte in nachdenklichem Ton hinzu:
»Ich habe so etwas vermutet. Aber ich wusste nicht, dass man uns
vergiften kann.«
»Es ist kein Gift im herkömmlichen Sinne«, antwortete Breiteneck.
Andrej wartete darauf, dass er weitersprach, aber Breiteneck machte
keine Anstalten dazu, sondern sah ihn nur weiter schuldbewusst an.
Andrej war jedoch nicht gewillt, es dabei bewenden zu lassen. Aber
gerade, als er zu einer Frage ansetzen wollte, verriet ihm sein scharfes Gehör das Geräusch schneller Schritte, die sich draußen auf dem
Flur näherten. Sehr schwerer Schritte. Wer immer sich dort näherte,
trug Stiefel, wie sie Soldaten bevorzugten. Andrej meinte auch das
Geräusch eines Schwerts zu hören, das im gleichmäßigen Takt gegen
ein Bein schlug.
Auch Abu Dun hatte das Geräusch gehört und sah stirnrunzelnd zur
Tür. Ihrer beider Reaktion blieb Breiteneck nicht verborgen. Er stand
hastig auf.
»Es wird Zeit«, sagte er. »Mir ist natürlich klar, dass Ihr nicht auf
mich hören werdet, aber als Arzt muss ich Euch trotzdem den Rat
geben, mindestens noch zwei Tage im Bett zu bleiben. Ich sehe später noch einmal nach Euch.«
Er ging. Andrej sah ihm schweigend nach, bis er das Zimmer verlassen und die Tür hinter sich zugezogen hatte, dann setzte er sich -
behutsam - ganz im Bett auf und wandte sich an Abu Dun. »Du
scheinst einen neuen Freund gefunden zu haben«, sagte er.
Abu Dun zog eine Grimasse. »Er ist kein so übler Kerl. Ich glaube
ihm jedenfalls.« Er sah rasch zur Tür hin, als überlege er, ob die Zeit,
die ihnen noch blieb, ausreichte, um zu Ende zu sprechen, dann fuhr
er mit einem Achselzucken fort: »Ohne ihn wärst du jetzt tot, alter
Mann.«
»So schlimm?«, fragte Andrej.
Abu Dun nickte ernst. »Schlimmer. Du hast fantasiert, und du hattest so hohes Fieber, dass man meinte, ein Ei auf deiner Stirn braten
zu können. Ich weiß nicht, was Breiteneck getan hat, aber was immer
es war, er hat dir zweifellos das Leben gerettet. Die Wunden, die
dir… der andere zugefügt hat, hätten dich sonst umgebracht.«
»Sein Schwert muss ebenfalls vergiftet gewesen sein«, vermutete
Andrej. »Und du kannst seinen Namen ruhig aussprechen. Es war
Frederic.«
Der Nubier zögerte. »Bist du sicher?«, wollte er wissen.
»Ja.« Die Antwort kam ohne Zögern.
»Aber das kann nicht sein«, antwortete Abu Dun. »Er war ein Kind,
als er zu einem Unsterblichen geworden ist. Dieser Mann war um die
dreißig!«
»Vielleicht hat er ja dazugelernt«, gab Andrej unwillig zu bedenken. »Vielleicht hören wir auch erst auf zu altern, wenn wir erwachsen sind, was weiß ich! Frag doch deinen neuen Freund. Es war Frederic. Warum willst du es nicht zugeben? Du hast ihn doch genauso
erkannt wie ich!«
Abu Dun starrte ihn nur verstockt an und schwieg auch beharrlich
weiter, bis die Schritte sehr nah waren und die Tür aufgestoßen wurde. Ein Mann in der Uniform aus von Salms Garde trat ein. Es war
der, mit dem von Salm unten in den Katakomben gesprochen hatte.
»Andrej Delãny? Ihr seid wach, gut. Graf von Salm wünscht Euch
zu sprechen. Bitte kleidet Euch an und folgt mir.«
In seiner Erinnerung war es allenfalls eine Stunde her, dass er von
Salm das letzte Mal gesehen hatte. Doch er wusste, dass eine gute
Woche vergangen war, seit sie sich in den Katakomben gegenübergestanden hatten.
Von Salm sah um ein Jahrzehnt gealtert aus. Sein schütteres weißes
Haar, obwohl tadellos gewaschen und frisiert, wirkte strähnig, und
sein Gesicht war eingefallen und sehr blass. Die schweren Tränensäcke unter seinen Augen hatten sich dunkel verfärbt, als hätte er in der
zurückliegenden Woche zusammengenommen nicht mehr als eine
Nacht Schlaf gefunden, und seine Hände, die er nebeneinander vor
sich auf die Tischplatte gelegt hatte,
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