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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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kein Held.«
    »Helden gibt es nur in Geschichten oder in Filmen«, sagte Onno. »Im richtigen Leben ist jeder ein Held, der sich nicht einfach in sein Schicksal fügt, sondern kämpft. Wer aufgibt, der ist tot, lange bevor sein Leben zu Ende ist.«
    »Aber die Angst …«
    »Ich habe auch Angst. Sollen wir warten, bis sie uns eine Kugel in den Kopf jagen oder uns ertränken, so wie Larsen? Selbst wenn du jetzt die Polizei anrufst, es würde mindestens eine Stunde dauern, bis sie hier wäre. Also komm mit nach oben und kämpfe.«
    Rike verschluckte ihre Antwort und auch einen Teil ihrer Angst. Sie erhob sich und ging hinaus in den Flur. Onno steckte den Stecker in die Steckdose. Er löschte das Licht, zog die Küchentür zu und hängte das Seil im Haken oberhalb der Türklinke ein, dann folgte er ihr Rike schlich nach oben.
    Das Geräusch war verstummt.
    *
    »Was ist los?«, flüsterte Negrasov in einer kehligen und konsonantenreichen Sprache.
    Sein bulliger Begleiter zuckte mit der Schulter, obwohl diese Bewegung in der Dunkelheit ungesehen blieb. Es war wie verhext. Nur eine einfache, altersschwache Verriegelung, dennoch war es unmöglich, sie zu knacken. Irgendetwas im Inneren schien die Bolzen und Ösen festzuhalten.
    »Versuch es noch einmal!«, befahl Negrasov.
    Der Bullige probierte einen anderen Dietrich, aber das Ergebnis war dasselbe. Er bekam das Schloss einfach nicht auf. Und dabei galt er als Spezialist. Er wandte sich um und raunte Negrasov ein kurzes, aber bestimmtes »Unmöglich« auf Russisch entgegen.
    »Das Fenster«, entschied Negrasov. Der Komplize zog ein Messer aus der Scheide und fuhr damit in der Mitte in den Schlitz zwischen den beiden Fensterläden. Vorsichtig schob er es nach oben, bis er einen Widerstand spürte. Ein kurzer Ruck, und der Riegel schwang mit einem dumpfen Scheppern zurück. Ein zufriedenes Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes, doch als er am Laden zog und der sich noch immer nicht öffnen ließ, entfuhr ihm ein leiser Fluch. Noch einmal tastete er mit dem Messer durch den Spalt, aber er spürte keinen Widerstand mehr. Trotzdem hielt etwas die beiden Holzläden fest zusammen. Offenbar gab es noch eine andere Sicherung. Er versuchte sein Glück an der Unterseite kurz über der Fensterbank, aber er fand keine Möglichkeit, mit seinem Messer einzudringen.
    Der ungeduldige Klaps seines Anführers auf seiner Schulter ließ ihn zusammenzucken. Er nahm seinen Rucksack ab und holte ein Brecheisen heraus. Im fahlen Licht der kleinen Lampe zeigte er es Negrasov.
    Mit der Hand signalisierte der Russe, dass er noch warten solle. Negrasov verschwand und tauchte kurz darauf wieder auf. Dann gab er dem Mann mit dem Brecheisen ein Zeichen.
    Das Brecheisen fuhr in den Zwischenraum. Das Holz knirschte, gab nach und splitterte geräuschvoll. Nun konnten sie sicher sein, dass ihr Kommen nicht ungehört geblieben war. Mit der Taschenlampe im Mund setzte er das Brecheisen am Fenster an und hebelte es auf. Krachend sprang es auseinander. Behände stemmte sich Negrasov in die kleine Küche und schaltete seine lichtstarke Taschenlampe ein. Er lauschte, aber nichts war zu hören. Offenbar hatten sich die beiden Bewohner gut versteckt. Er nahm seine Waffe in Anschlag und gab seinem Komplizen ein Zeichen.
    *
    »Ich weiß nicht, ob ich durchhalte«, flüsterte Rike, die im Obergeschoss auf dem Boden kauerte und durch das Treppengeländer ins Erdgeschoss starrte.
    Sie hatten das Licht im Bad brennen lassen, damit sie sehen konnten, wenn sich jemand im Gang unter ihnen bewegte. Onno Behrend hatte sich nicht weit von ihr hinter dem dicken Geländerpfosten auf die Lauer gelegt. Rike umklammerte die Waffe, in der anderen Hand hielt sie das Mobilteil des Telefons.
    »Warte noch, bis wir einen von ihnen festgenagelt haben, dann kannst du die Polizei rufen«, flüsterte Onno.
    Immer mehr zweifelte Rike, dass sich Onno der Gefahr, in der sie schwebten, überhaupt bewusst war. Da unten waren Verbrecher am Werk, die Menschenleben auf dem Gewissen hatten. Vorsichtig nahm Rike den Hörer an ihr Ohr und drückte mit dem Daumen auf die Bereitschaftstaste. Kein Freizeichen erklang. Sie wiederholte ihre Versuche. Immer hektischer flogen ihre Finger über die Taste, doch das Telefon gab kein Signal von sich. Mit großen Augen wandte sie sich Onno zu. »Tot!«, flüsterte sie. Ein lautes Klappern ließ sie herumfahren.
    *
    Er wartete, bis sein Komplize durch das Fenster gestiegen war, dann schlich er zur Tür und

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