Die Wiege des Windes
fuhren herum. Dietmar Petermann stand vor dem Polizeiwagen und breitete eine Plastiktüte voller Müll darauf aus.
»Oh, was … ich meine, wo kommst du her?«, fragte Johannes verlegen.
»Das ist vielleicht eine blöde Frage …« Dietmar deutete mit dem Kopf in Richtung einer weiteren Lagerhalle. Er hatte die Kapuze seines Parkas zusammengeschnürt, dass nur noch seine Nasenspitze zu erkennen war. Er sah aus wie ein zu groß geratener Gartenzwerg. »Also wenn ihr mich fragt, dann ist der Tag heute reine Zeitverschwendung. Ich könnte längst zu Hause auf der Couch liegen und ein gutes Buch lesen. Wir hätten auf das Ergebnis der DNA-Auswertung warten sollen.«
»Damit können wir frühestens in einer Woche rechnen«, erwiderte Johannes. »Und so lange sollen wir die Hände in den Schoß legen?«
»Martin, Johannes, kommt mal her!«, ertönte Kleinschmidts heisere Stimme. Er stand einige Meter entfernt und gestikulierte wild. »Wir haben drinnen was gefunden, das müsst ihr euch unbedingt ansehen.« Kleinschmidt führte seine Kollegen in den grauen Backsteinbau einer ehemaligen Eisengießerei.
»Passt auf, die Stiege sieht nicht sehr tragfähig aus«, mahnte er und deutete nach oben.
Vorsichtig brachten sie die Stufen hinter sich. Bei jedem verdächtigen Knarren hielten sie inne und warteten ab. Endlich gelangten sie in den ersten Stock. Ein Teil der Decke fehlte und gab den Blick auf den Schutt im Erdgeschoss frei. Schließlich kamen sie in einen abgeteilten Raum. Die Wände und die Decke waren mit gelblichen Kacheln verkleidet, die in den sechziger Jahren modern gewesen waren. Verrottete Rohre mit einem Duschaufsatz wiesen darauf hin, dass sich hier die Duschräume für die Arbeiterschaft befunden haben mussten. Ein Durchgang führte in die Umkleidekabine. Hanselmann, Kleinschmidts Mitarbeiter, wartete dort.
»Vorsicht, damit wir keine Spuren verwischen«, sagte er.
An den Wänden standen Metallspinde. In der Mitte des Raumes war eine Holzbank montiert, deren Sprossen zum Teil durchgebrochen waren. Nur der hintere Teil war unversehrt. Und genau dort lag ein olivgrüner Parka auf dem Boden. Nicht weit davon entfernt war ein Strick um eine der Holzsprossen gebunden. Auf dem grauen Steinboden befanden sich tiefbraune Flecken.
»Ich glaube, jetzt wissen wir, wo euer Toter zu Lebzeiten misshandelt wurde«, sagte Kleinschmidt. »Unten in der Einfahrt haben wir Reifenspuren gesichert. Vielleicht haben sie etwas damit zu tun. Die Kollegen von der Streife sagen, dass diese Plätze im Sommer gerne von Liebenspärchen genutzt werden, doch zur Zeit verirrt sich nur selten jemand hierher. Wenn du es für notwendig hältst, hol ich den Rest von meinem Team.«
»Wieso ich?«, fragte Trevisan.
»Na, als neuer Leiter unseres Fachkommissariats für Mord und Totschlag bin ich dir offiziell unterstellt. Du triffst die Entscheidungen, musst aber später auch dafür geradestehen.«
Schweigen breitete sich im Raum aus. Trevisans Blick traf Johannes. Der zuckte die Schultern. Dietmar Petermann stand neben Trevisan und blickte mit leeren Augen zu Boden. Schließlich hob er den Kopf. »Gut, dann kann ich ja gehen«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich werde hier ja wohl nicht gebraucht.« Er wandte sich um und durchquerte den Raum.
»Dietmar, warte!«, rief Trevisan und folgte seinem Kollegen. Er holte ihn erst am Fuß der Treppe ein. »Warte doch, bitte!«
Dietmar wandte sich um. »Seit wann weißt du es?«
»Es ist noch gar nichts entschieden«, antwortete Trevisan.
»Hat Beck deswegen mit dir geredet?«
Trevisan nickte.
»Dann hättest du mir gottverdammt auch etwas sagen können«, schrie ihn Dietmar an.
»Beck will am Montag mit uns allen darüber reden«, erwiderte Trevisan. »Außerdem ist noch gar nichts offiziell. Kleinschmidt wollte doch nur ein bisschen Aufruhr stiften.«
»Da arbeitet man Tag für Tag, versucht sein Bestes zu geben, rackert, schuftet, vernachlässigt seine Familie und das ist dann der Dank dafür. Keine Sekunde mehr als nötig für diesen lausigen Job! Schau dir doch unsere Verwaltungsbeamten an, die sitzen in warmen Büros und beziehen ein fettes Gehalt fürs Nichtstun und lachen über uns.«
»Mensch, Dietmar, jetzt bringst du aber einiges durcheinander«, widersprach Trevisan. »Es ist schließlich unser Beruf. Willst du den Angehörigen von Mordopfern im Leichenschauhaus erklären, dass du keine Lust hast, den Täter zu suchen, weil du nicht befördert wurdest? Wenn du so über unseren
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