Die wilde Gärtnerin - Roman
spürte. Nicht durch das Haus. Nicht durch sein Geld. Nicht durch seine weichen Augen. »Und die beiden anderen? War deren Motivation ähnlich?«
Er zuckte die Achseln. »Das musst du die fragen.«
Was Helen garantiert nicht tun würde. Sie brauchte keine Vielleicht-Väter mehr. Robert war zwar nicht übel, aber sie konnte auf ihn verzichten. Bei seinem Anblick hatte es nicht
klick
gemacht, so wie sie sich das in ihrer Kindheit vorgestellt hatte. Wenn sie auf ihren Vater träfe, hatte sie geglaubt, würde innerlich etwas einrasten, wie ein Karabiner in einen Haken. Aber das war nicht der Fall. »Danke«, sagte sie und hob das Kuvert an ihre Stirn, um damit zu salutieren.
»Hier, falls du noch was brauchst.« Er holte eine beige Visitenkarte aus seiner Brusttasche. Helen betrachtete das schlichte Stück Papier. Darauf waren keine Blumen, Runenzeichen oder Ewigkeitssymbole zu finden. Einfach Name, Adresse, Telefonnummer. Beruf: Analyst.
Helen ließ ihn stehen, ging wieder zu ihren Großeltern, setzte sich neben sie. Jasmin forderte gerade die Festgemeinde auf, Erinnerungen an Leda zu sammeln. Es sollten Anekdoten erzählt werden, die bezeugten, dass durch Leda Gutes und Schönes in die Welt gekommen war. Helen wollte keine Wortspende beisteuern. Sie war bereit, das Lichtfest, wie Ledas Begräbnis genannt wurde, über sich ergehen zu lassen. Sie lehnte sich weder gegen Farbschwingungen noch gegen Lieder oder Mantren auf. Aber sie wollte sich nicht aktiv in die Zeremonie einmischen. Sie hatte ihre Mutter längst »heimgehen lassen ins Licht«, wie Jasmin es formulierte.
Auch Anton Cerny wollte nicht ins Mikrofon sprechen, das momentan verweist vor Ledas Erdhügel stand. Über die Dinge, die er erzählen hätte können, wäre nur betretene Stille ausgebrochen. Denn Ledas Weigerung, gegen ihre Krankheit vorzugehen, hatte ihn zur Verzweiflung gebracht. Er hatte ihren Dickschädel verflucht, sie als Sektiererin beschimpft, wollte sie entmündigen und zwangstherapieren lassen. Aber zuletzt hatte er an ihrem Bett gesessen, ihre schwache Hand gehalten und sie inständig gebeten, an Helen zu denken. »Sie ist doch dein Kind, du kannst sie doch nicht allein lassen«, flehte er sie an. Aber Leda erklärte ihm, dass ihre Tochter bestens alleine zurechtkäme. Ihre Tochter sei für das Leben gewappnet, sei eine starke junge Frau, die alles, was ihr auf ihrem Lebensweg begegnete, meistern würde. Die unzulängliche Hilfe von einer kranken Mutter sei nicht mehr nötig. Das machte Anton noch wütender. »Du kannst dich nicht kampflos ergeben, ohne Widerstand, das ist falsch. Du kannst doch nicht aufgeben.« Leda schmunzelte, als hätte er ihr einen alten Witz erzählt, den sie bereits viele Male gehört hatte, bei dem sie ihn nur anstandshalber nicht ins Wort fiel und die Pointe verriet. »Es ist unfassbar!« Er wurde laut, nicht so wie in Ledas Kindheit am Sonntagstisch, aber für seine siebzig noch immer beeindruckend. »Dein ganzes Leben hast du immer nur gemacht, was du dir in deinen Schädel gesetzt hast. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wir waren dir alle egal, deine Tochter ist dir egal, ja selbst dein Leben ist dir egal, Hauptsache,
du
machst, was
du
willst.« Leda stoppte ihn jetzt doch. Sie hob nur leicht ihre Hand. Er reagierte prompt. Die Macht der Todgeweihten, dachte sie. »Genau wie du«, sagte sie leise, »bei dir hat auch alles so sein müssen, wie du dir das vorgestellt und eingebildet hast.« – »Aber das ist doch ganz was anderes. Bei dir nimmt das doch ungeheuerliche Ausmaße an! Du stirbst ja lieber, als deine wirren Grundsätze über den Haufen zu schmeißen. Das ist doch verrückt!« Wieder hob Leda nur leicht ihren Zeigefinger vom Laken. »Es ist genau dasselbe.« Sie machte eine Pause, schluckte, ihr Mund war trocken. »Ich hab mich mein ganzes Leben bemüht, nicht so zu werden wie du. Aber wir sind beide Tyrannen, jede auf ihre Art.« Das war Ledas Weg, sich bei ihrem Vater zu bedanken, sich zu entschuldigen und ihm zu vergeben. Ihm und sich. Doch es war nicht Antons Art, dieses Erlebnis den anwesenden Trauergästen mitzuteilen. Es war
sein
Erlebnis mit seiner Tochter, nicht für die Außenwelt gedacht.
Ein Moment der Stille trat auf dem Friedhof ein, bis Erna aufstand und zum Mikrofon ging. »Hallo! Ich begrüße euch. Ich bin die Mama von Hilde«, fing sie ihre Rede etwas hölzern an. »Ich möchte was über meine Tochter erzählen, vielleicht hilft das dem einen oder anderen, ihre oft unverständlichen
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