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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Vater. Du hast keine Ahnung, welche Sprüche und Mutmaßungen ich über unsere Rumpffamilie hören durfte.
    Das Einzige, was ich sein wollte, war normal. Und das war ich eindeutig nicht. Ist dir jemals die Idee gekommen, ich könnte unter männlicher Unterdrückung weniger leiden als du? Vielleicht hätte ich mit einem Vater gar keine Probleme gehabt? Schließlich finde ich Opa auch nicht so schlimm wie du. Vielleicht wäre ich mit einem der drei Väter ganz gut zurechtgekommen? Du hast aus reiner Ängstlichkeit verhindert, dass ich mir meine eigene Meinung bilde. Ich weiß folglich gar nicht, wovor du mich bewahrt hast. Ich wollte immer einen Vater haben«, sagte Helen. Sie war erstaunt über einen plötzlich aufkommenden Gedanken: Die Erfüllung ihres Wunsches wäre nicht unrealistisch gewesen. Sie hatte immer geglaubt, ihre Sehnsucht nach einem Vater wäre abartig, weil sie ins Leere lief. Jetzt beruhigte sie die Einsicht, dass das, was sie wünschte und ersehnte, durchaus erreichbar gewesen wäre. Wenn ihr Wunschtraum nicht absonderlich war, vielleicht war sie es auch nicht?
    Leda holte Papers und süßen Tabak aus ihrem Lederbeutel, den sie um den Hals trug. Sie baute sich einen Joint. Helen schaute ihr stumm dabei zu. Nach dem ersten Zug schloss Leda die Augen und erholte sich von Helens Anklage. Sie vertraute darauf, richtig gehandelt zu haben. Eines Tages, dachte sie, würde Helen ihre Entscheidung schon annehmen können. »Nachdem ich mit dir hier eingezogen bin, tauchte Robert auf und wollte dich sehen. Er war davon überzeugt, dein Vater zu sein / pochte auf sein Recht. Ich weigerte mich. Zunächst stritten wir, dann diskutierten wir. Lange. Er hat nicht eher lockergelassen, bis ich ihm versprochen habe, ihn über deine Entwicklung auf dem Laufenden zu halten.« Helen ahnte, dass ihr zusätzliche Informationen zu viel werden könnten, trotzdem hörte sie weiter zu. »Ich schickte Robert Fotos von dir. Von jedem deiner Entwicklungsschritte / Geburtstage / Ausflüge. Kopien deiner Zeugnisse.« Leda lächelte, schüttelte ihre Haare aus dem Nacken, etwas langsamer als sonst. »Ein bisschen konservativ waren wir wohl noch immer«, sagte sie mit leiser Ironie gegenüber sich selbst. »Später sind auch Oswald und Günter gekommen. Sie wollten dich sehen / wissen, wie es dir geht / was du schon kannst. Sitzen / gehen / sprechen / was Kinder halt so lernen.« Dann machte sie eine Kunstpause, als passte Helen noch nicht gut genug auf, als müsste sich das für ihre folgenden Worte ändern. Sie zog am Joint, ließ den Rauch in ihren Lungen, blies ihn sanft Richtung Plafond. »Alle drei mussten mir versprechen, dich niemals anzureden. Ich habe ihnen erlaubt, dich aus der Ferne zu sehen, aber sie durften keinen persönlichen Kontakt mit dir aufnehmen.«
    »Die haben mich beobachtet? Mama, das wird ja immer absurder. Du bist noch verrückter, als alle behaupten.«
    Leda überhörte Helens Beleidigung, sie wollte jetzt nur noch alles loswerden. Ihre Tochter sollte selbst entscheiden, was sie damit anfing. Hatte Helen zuvor nicht über fehlende Entscheidungsfreiheit geklagt? Die würde sie jetzt bekommen. »Du hast es zwar nicht bemerkt, aber sie haben dein Leben mitverfolgt. Wenn wir spazieren gegangen sind, konnte es sein, dass einer von ihnen uns entgegengekommen ist und gegrüßt hat. Oder Robert hat uns zugewinkt, wenn er uns am Markt beim Einkaufen getroffen hat. An deinem ersten Schultag waren alle drei vor der Schule. Robert hat dich sogar noch an deinem ersten Tag im Gymnasium begleitet.«
    Helen war entsetzt. Was ihre eingerauchte Mutter da von sich gab, konnte doch nicht wahr sein? Vielleicht drückten schon irgendwelche Metastasen auf Bewusstseinsareale ihres Stammhirns? »Ich hätte Paranoia bekommen können!«, schrie sie auf und musste dann doch über ihr Leben lachen, das hier im Minutentakt immer grotesker wurde.
    »Hast du aber nicht. Du hast nie Verdacht geschöpft. Oder?«
    »Nein«, gab Helen zu. Wie hätte sie auf die Idee kommen sollen, dass einer von den Vätern auf dem Schulweg ihrer war? Auch wenn sie es sich oft gewünscht hatte. Ledas Metapher vom Wind und ihre wilde Jugendzeit in der Kommune waren stets unhinterfragt geblieben. Selbst ihre eigene Geschichte von einem Vater, der vor ihrer Geburt gestorben war, hatte sie uneingeschränkt geglaubt. Helen hatte sich mit dem toten Vater ganz gut arrangiert. Der Wunsch nach einer Normfamilie war einfach ihr Sehnsuchtsort gewesen. Andere Kinder

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