Die wilde Gärtnerin - Roman
Welt gebracht hatte, hielt Jasmin einen kleinen Bergkristall mit beiden Händen in die Höhe und vergrub ihn später zwischen den Blumen. Helen unterdrückte ihren Impuls, sofort loszulachen. Sie respektierte, dass viele hier diese Symbolik schätzten. Aber sie empfand alles als riesigen Zirkus und bemerkte erneut, dass ihr Zirkusse nicht gefielen.
Endlich lud Jasmin zum gemeinsamen Freudenmahl. Dazu wurden die Heurigenbänke in einem lockeren Kreis angeordnet, dazwischen Meditationspölster und Decken ausgebreitet. Man reichte selbst gemachte Aufstriche zu selbst gebackenem Brot, verteilte Kuchen oder Teller mit Salaten. Helen stopfte sich gerade ein gefülltes Weinblatt in den Mund, die andere Hand hielt ein Glas, als Toni auf sie zukam. Die beiden hatten sich seit ihrer Interrailreise nicht mehr getroffen. Nicht so sehr, weil sie böse aufeinander gewesen wären – der Streit war schon längst vergessen –, vielmehr als dass sich ihre Welten voneinander entfernt hatten. Toni stieß mit einer Sektflöte voll Bowle an Helens Glas und verzichtete darauf. »Herzliches Beileid« zu wünschen, wofür Helen ihr dankbar war. Tonis Lippen waren dunkelrot, ein dicker Kajalstrich zog sich um ihre Augen, die Wimpern waren getuscht. Sie wirkte ruhiger als vor sieben Jahren, nicht mehr so, als würde hinter ihr eine Zündschnur abbrennen. »Was machst du jetzt?«, war ihre erste Frage.
»Wie meinst du? Nach dem Begräbnis, oder im Leben?« Helen hätte gerne Essensnachschub geholt, traute sich aber nicht, Toni einfach stehen zu lassen. Es hätte ausgesehen, als laufe sie davon. Früher wäre das kein Problem gewesen. Jetzt fehlte dafür zwischen ihnen die Vertrautheit.
»Gibt’s da einen Unterschied?«
Helen war bereits jetzt aus dem Konzept gebracht. Was hatte Toni ursprünglich gefragt? Und – wollte sie ihr überhaupt antworten? »Nach dem Begräbnis – weiß ich nicht. Im Leben – weiß ich auch nicht. Aber wenn du das Offizielle meinst, ich studiere Soziologie und Literaturwissenschaft. Es interessiert mich, aber begeistert bin ich nicht.«
Toni wiegte sich in den Hüften und hob die Augenbrauen. »War doch früher auch schon so, oder? Und Leo, was macht der?« Sie deutete mit dem Kopf zu ihm. Er stand mit seinen Eltern am Buffet und passte nicht in das Schamanen-Ambiente. »Ihr seid doch noch immer zusammen, oder?«
Helen wusste nicht, wie sie diese Frage einordnen sollte. Im Sinne von »nicht mehr lange« oder »wie langweilig ist das denn«. »Ja«, nahm Helen es als simple Feststellung. »Er studiert Abfallwirtschaft.«
»Oh, etwas anderes als Medizin? Sind da Mami und Papi nicht enttäuscht?«, stichelte Toni.
Helen musste den Fragespieß umdrehen, sonst würde dieses Gespräch noch unangenehmer werden. »Und du?«
Toni kippte ihre Bowle und wackelte mit dem leeren Glas zwischen ihren Fingern. »Ich hab meine Shiatsu-Praxis. Nebenbei bin ich ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin.« Helen hätte Toni nie in den Dunstkreis alter Leute gebracht. Vielleicht rührte ihre gefestigtere Art daher? »Macht mir riesige Freude und ich lern enorm viel.« Sie neigte sich vertraulich zu Helen und flüsterte: »Ich halt mich nicht immer an die Vorschriften, damit die Alten ein bisschen Spaß haben – es könnte ihr letzter sein.« Sie zwinkerte und probierte aus ihrem leeren Glas doch noch einen Tropfen Bowle herauszubekommen.
Helen runzelte die Stirn. Sie wollte sicherlich nichts über Tonis unlautere Hospiztätigkeit erfahren. Selbst wenn sie nicht unlauter sein sollte. »Also dann«, hob sie freundschaftlich das Kinn, »mach’s gut, baba.« Sie wollte rasch zu einer Schale mit Piroggen oder Glutenschnitzel, sogar Griechischer Salat wäre ihr recht gewesen. Nur weg von Toni und ihrer fremd-vertrauten Art. »Wie findest du Robert?«
Das saß. Helen blieb stehen. Wie angewurzelt. Es kam ihr vor, als würden sich ihre Zehen über den Rand ihrer Sandalen hinweg in die Erde bohren wollen. Woher wusste Toni von Robert? Seit wann? Kannte sie Helens Vielleicht-Erzeuger schon lange? Wie damals, als sie von Ledas Homosexualität wusste und nie etwas gesagt hatte. Helen spürte Tonis Blick zwischen ihren Schulterblättern.
»Er hat mich vor dem Begräbnis angesprochen. Mit meinem Namen. Ich hab schon befürchtet, er ist ein vergessener Verflossener, aber mit dieser Altersklasse hab ich’s eigentlich nicht so.«
Helen erkannte Tonis lustigen Plauderton wieder, der so leichtfüßig brutal über die schlimmsten
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