Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
Vom Netzwerk:
Subjekten im gesunden Volkskörper schon aufräumen. Das würde schon noch alles kommen. Das Tausendjährige Reich war jung und mit Blockwart Grubers Hilfe würde bald auch in diesem Haus Ordnung herrschen. »Judenfrei« hatte er es bereits gekriegt.
    Amalia hob Erna rasch hoch, murmelte eine verlogene Entschuldigung und verließ die Einfahrt. Gerti wollte ihr nach.
    »Sie nicht, Frau Haberzettl. Sie bleiben g’fälligst da«, herrschte Gruber sie an.
    Gerti winkte ihrer Freundin achselzuckend nach. Sie blieb neben ihrem Sohn und ließ Grubers Propaganda über sich ergehen.
    Am Bahnhof galt es, kontrollierte Beherrschtheit einzuhalten. Der für den Truppentransport bereitgestellte Zug wartete dampfend am Gleis, und Kohlestaubpartikel senkten sich wie Trauerflore auf Soldaten und ihre Familien. Einige Kinder, die den tragischen Auftrag dieses Orts nicht beachteten, rannten über den Bahnsteig und spielten Verstecken. Offiziere schlenderten paarweise, wichtig und überlegen an den Abschiednehmenden vorbei. Hände winkten, Tränen kullerten, einige Wehrmachtssoldaten stiegen in den Zug.
    Josef hielt Erna auf dem Arm. Amalia umfasste beide. Die drei standen inmitten des Tumults wie in einer Schneekugel aus Glas. Es hätte sie nicht erstaunt, wenn plötzlich Flöckchen aus Papier um sie hochgewirbelt wären.
    »Was sag’ma jetzt?«, fragte Josef.
    »Nix, wahrscheinlich.« Amalia drückte ihn näher an sich. Sie konnte die Wärme spüren, die von seinem Gesicht ausging. Seine Augen, die sie beschwörend fixierte, waren so nah, dass sie vor ihr verschwammen. Amalia roch seine Haut, spürte seine zarten Berührungen auf ihren Wangen. Zitternd, als wäre ihm kalt, setzten seine Lippen behutsam auf ihren auf. Sie hielt seinen Kopf mit beiden Händen. Wenn sie ihn für immer so halten und küssen würde, könnte sie die bevorstehende Trennung verhindern? Sie saugte sich an Josefs Lippen fest. Wenn das der letzte Kuss wäre, müsste sie ihn konservieren. Aber wie? Wie kocht man einen Moment ein, um ihn haltbar zu machen? Um so lange wie möglich von ihm zu zehren? Schon spürte sie Josefs Unruhe. Wie sich sein Kopf losmachen wollte, sich sein Körper von ihr entfernte. Amalia wollte den Moment dehnen wie einen Strudelteig, um sich darin einzuwickeln, bis er zerbröseln und aus ihrer Erinnerung fallen würde. Oder könnte er sich als Schlusspunkt ihrer gemeinsamen Zeit in Amalias Körper brennen und auf ewig eine verkohlte Stelle hinterlassen? Amalia hielt Josef fest. Er drückte sie sanft weg. Erna fühlte sich zwischen ihren Eltern eingezwängt. Sie begann zu raunzen, wollte Josefs Arm lockern. Aber Amalia presste ihre Lippen fester auf Josefs. Würde Erna zu zappeln aufhören und Josef stillhalten, könnten die drei in ihrer Position verharren, der Moment könnte ewig andauern. Josef müsste nicht einrücken, der Zug nicht abfahren, der ganze Krieg nicht stattfinden. Die Zeit könnte nicht voranschreiten. Alles würde regungslos erstarren in der Glaskugel.
    »Mama, du tust mir weh, lass mich los«, quengelte Erna. Womit Amalias Wille gebrochen war, und Josef sich entfernte. Sie schluchzte zornig auf wie ein gekränktes Kind.
    »Mali.« Josefs ermahnender Unterton klang mitleidig, beinahe selbstmitleidig. Zart, aber abschließend berührte er ihre trockenen Lippen. »Pass auf di auf«, flüsterte er, »auf di und die Erna.«
    Kurz war Amalia wütend, weil er sich traute, Blödheiten zu sagen, die sie sich nicht gestattete. Aber dann hörte sie nicht auf das Gesagte, sondern auf das Gemeinte. Schon war der Moment vorbei. Sie ließ ihn los.
    Josef stieg in den Waggon, Erna und Amalia blieben am Bahnsteig zurück. Sie beobachteten, wie er seinen Tornister im Gepäckfach verstaute, wie er das Zugfenster öffnete und sich zu ihnen hinausbeugte. »I schreib euch, so oft i kann« und andere Belanglosigkeiten wurden gewechselt. Kurz stiegen Lärm und Aufregung final an, dann löste der Zug mit einem Vorwärtsruck seine Bremsen. Dampfend und pfeifend rollte er aus dem Bahnhof. Bahnsteig und Zugfenster waren mit wedelnden Armen gespickt. Amalia und Erna blieben stehen, bis sie den Zug nicht mehr sehen konnten.
    »Kommt da Papa morgen wieder?«, fragte Erna.
    »Nein, morgen nicht, aber bald«, log Amalia.
    Leer, die Wohnung ist leer, dachte sie. Sie setzte sich erschöpft an den Küchentisch. Ihre Tochter saß neben ihr und lehnte sich müde an sie. Amalia legte ihren Arm um Erna, mit der anderen stützte sie ihren Kopf ab. Sie schloss

Weitere Kostenlose Bücher