Die wilde Gärtnerin - Roman
Berta erst vor Kurzem nachhause gekommen ist.
»Manchmal muss man eben eine Sau sein«, amüsiert sie ihre kryptische Äußerung. Unter anderen Umständen hätten mir ihre Grübchen, ihre strahlenden Augen, ihre plötzliche Lässigkeit, der Eindruck, mit sich und der Gesamtsituation zufrieden zu sein, behagt. Aber leider passt ihre Heiterkeit überhaupt nicht zu meinem Wattebausch-Stimmengewirr.
»Eine Sau?« Ziehe meine Augenbrauen zusammen, rümpfe meine Nase. Berta soll merken, dass mir ihre gute Laune missfällt.
»Ja, manchmal muss man eben eine richtige Sau sein, um sich unter die Jagdgesellschaft zu mischen. Früh aufstehen muss man allerdings, das ist das Harte daran. Aber wie sagt man in England?
The early bird catches the worm
.« Belustigt schlägt sie mit der flachen Hand auf die Tischplatte, ich zucke zusammen, sie steht auf und geht in die Küche. Kommt mit zwei Whiskey-Gläsern zurück. Eins stellt sie vor mich, vom anderen trinkt sie. »Da ist mir doch was Feines gelungen, findest du nicht? Besser, als erhofft. Also, ich hätte nie gedacht, dass ich beide drankriege. Und schon gar nicht, dass die so reagieren.
Über
reagieren, würde ich sagen. Aber bitte, ich werd mich nicht beschweren.« Sie macht eine Pause.
In mir schreit es: »Erzähl endlich weiter! Was hast du gemacht?« Sitze aber nur da und fühle mich niedergeschmettert.
»Als Treiber hab ich mich anheuern lassen. Auch so eine Bewerbung, die schon lange gelaufen ist. Und dann kommt plötzlich die Zusage – ich hab natürlich nicht ahnen können, wer sich in der Jagdgesellschaft befinden wird. Nicht einmal, ob unser lieber Lobbyist dabei sein würde. Zwei Tage Vorbereitungsarbeiten. Köder auslegen, Route abgehen und so. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was da für ein Aufwand betrieben wird. Ärger wie beim Kaiser, dem haben sie ja auch das Wild zugetrieben. Von wegen sportlicher Ehrgeiz! Erstens sind viel zu viele Tiere in den Jagden und dann werden sie auch noch angefüttert.« Sie setzt sich, stützt sich mit den Füßen an der Tischplatte ab und wippt mit ihrem Sessel vor und zurück. »Es ist erst am dritten Tag losgegangen. Ich bin vor Sonnenaufgang aufgestanden. Es war scheißkalt draußen. So richtig grauslich. Der Nebel ist im Wald gehangen wie nasse Fetzen auf einer Wäscheleine.« Berta lacht plötzlich. Weiß nicht, was an Nebelfetzen so witzig sein soll, nehme aber an, sie denkt an die grotesken Szenen, die auf den Nebel folgten. »Helen, ich hab echt nicht geglaubt, dass mein Plan aufgehen würde. Eher hab ich erwartet, sie schmeißen mich raus. Oder erschießen mich. Oder das Ganze geht als verrückte Tierschutzaktion durch. Sie lassen mich von der Polizei abführen und zeigen mich an. Auf so was war ich gefasst.« Sie lacht wieder. Legt ihre Hand über die Augen, als wollte sie den Bildern ihrer Erinnerung nicht glauben. Dann schüttelt sie sich und erzählt weiter. »Also, Nacht, Nebel, ich pirsch mit einem alten Wildschweinfell, das ich vor Jahren am Naschmarkt erstanden hab, durch den Wald. Ich hab ja gewusst, wo die Futterstellen ausgelegt worden sind. In deren Nähe würden sich die Jäger aufhalten, hab ich vermutet, und dort hab ich gewartet. Ich hätt natürlich den ganzen Tag im Gebüsch liegen können, und niemand hätte sich blicken lassen können. Mir ist die Warterei eh ewig vorgekommen. Der Nebel ist dichter geworden. Irgendwann hab ich nicht einmal mehr den nächsten Baum sehen können. Richtig froh war ich, dass ich mich mit dem räudigen Wildschweinfell zudecken hab können. Es war zwar elend kalt am Waldboden, aber ich bin trotzdem ein bissl eingeschlafen, weil drei Uhr früh ist eben zu früh für mich. Ein Knacksen hat mich hochschrecken lassen. Ich reiß die Augen auf und seh die zwei Gestalten, bekannt aus Funk und Fernsehen, unweit von mir im Unterholz. Zwei gute alte Freunde, die ihre Geschäftsbeziehungen im Schoße der Natur vertiefen wollen. Ich hab mein Glück kaum packen können. Kurz hab ich noch leichte Bedenken bekommen. Was tust du, hab ich mich gefragt, liegst im Gebüsch und lauerst alten Männern auf? Wenn du aufspringst, erschreckst du sie höchstens, und sie erschießen dich. Zu Fleiß, als Vergeltungsschlag. Und dann hab ich’s drauf ankommen lassen. Wenn sie direkt an mir vorbeigehen, tu ich’s, sind sie zu weit weg, tu ich’s nicht, hab ich beschlossen.« Sie schaut mich an, als ob sie irgendeinen Zuspruch von mir erwartet, wie »Gut hast du das gemacht, brav!«. Weiß
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