Die wilde Gärtnerin - Roman
Arztbesuch bestanden hätte, ihre Mutter hätte sich herausgewunden. Amalia hielt nicht viel von Ärzten. »Die wissen söba nix«, war ihre feste Überzeugung. »Das Sterben kennen s’ a ned verhindern, eh guad«, war der nächste Stehsatz. Außerdem brauchte wegen ihr kein Aufwand betrieben zu werden, so schlimm war das alles nicht, da gab es Wichtigeres, um sie bräuchte man sich nicht zu kümmern ...
»Aber wer will denn gleich sterben?«, brachte Erna ihr letztes Argument vor, von dem sie wusste, Amalia werde es nicht gelten lassen.
»Ich vertrag den Kaffee auch nicht mehr so wie früher«, streute Magda ein, die immer froh über das Thema »Krankheiten und körperliche Beschwerden« war. Es lenkte sie von sonstigen Unzulänglichkeiten ab, brachte die Gesprächspartner einander näher und war schier unerschöpflich. »Seit ich meinen Zucker hab, muss ich sowieso mehr aufpassen.«
Hilde mochte die »Treffen der Damen«, wie sie diese Zusammenkünfte insgeheim nannte. Sie genoss es, den beiden weißhaarigen Omas beim Tratschen zuzusehen. Die verhielten sich ganz anders als ihre Mutter. Erna war geschminkt, trug enge Kleider, blondierte ihre Haare und hatte lange, rote Fingernägel. Hilde gefiel ihre Mutter. Zuhause stakste sie in Ernas Stöckelschuhen durch die Wohnung, hängte sich ihre Perlenketten um den Hals, schmierte sich Ernas Lippenstift und ihren blauen Lidschatten ins Gesicht. Sie zog das schwarze Abendkleid mit den glitzernden Strasssteinen am Ausschnitt an. Natürlich war ihr alles viel zu groß. Aber sie hatte vor, möglichst schnell zu wachsen, vor allem große Brüste zu bekommen, um genauso elegant wie ihre Mutter zu werden. Denn es kam darauf an, erwachsen zu sein, glaubte Hilde. Dann konnte man auch elegante Kleidung tragen. Als Kind schaute man eben aus wie ein Kind, musste sich kindisch anziehen und sich genauso behandeln lassen. Das fing schon bei den Schuhen an. Kinderschuhe waren nie so schmal geschnitten wie die Pumps ihrer Mutter, hatten keinen Glitzer, keinen Stöckel, keinen Chic. Bei Kleidern, Röcken, Pullovern war es dasselbe. Alles sah klobig aus und war obendrein mit tollpatschigen Motiven bedruckt. Hilde hatte das satt. Ihre Devise lautete daher: wachsen, groß werden, sich wie eine Erwachsene anziehen. Denn wenn man aussah wie eine Erwachsene, durfte man auch tun, was Erwachsene taten. Das bedeutete: fortgehen. Sobald sie ordentliche Brüste hätte, war Hilde überzeugt, könnte sie sich erwachsen anziehen und gehen, wohin sie wollte. Am Busen lag es. Auf den kam es an.
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19.5.
Halte mich vom Fenster fern. Um genau zu sein: Habe Jalousien bei allen straßenseitigen Fenstern hinuntergelassen. Möchte Berta lieber nicht sehen.
Toni frühstückt bei mir. Erzählt vom gestrigen Abend mit Benno und Freunden. Von meinem gestrigen Abend erzähle ich nichts. Bin überhaupt wortkarg. Sie redet über ihr Festival, ich höre unaufmerksam zu. Kann mich nur schwer konzentrieren. Das Zusammentreffen oder besser das Aufeinandertreffen mit Berta schlingt sich um mein Hirn. Käue Fragen, Gefühle, Erkenntnisse (bittere) wider. Toni merkt meine Verstimmung. Sie lässt mich nach dem Frühstück rasch wieder allein. Sitze im abgedunkelten (blickdichten) Wohnzimmer auf der Couch und gehe alle Regungen in mir durch. Der Reihe nach:
Seit Berta gestern das Wort »Jagd« eingestreut hat, stecken in meinen Ohren Wattebauschen, die jede klare Schallwelle trüben, dafür aber meine inneren Stimmen verstärken. Die erste Stimme sagt: »Eben, hab ich’s nicht schon immer gewusst? Mit der stimmt was nicht.« Die nächste wirft sich ins Zeug: »Hör ihr doch erst mal zu. Vielleicht meint sie einen ganz anderen Jagdunfall?« Die dritte und wahrscheinlich ehrlichste meint: »Ist das spannend, endlich tut sich was. Gleich als ich Berta das erste Mal hinter ihren Fenstern gesehen habe, wusste ich, dass von dieser Frau Außergewöhnliches zu erwarten ist. Deshalb wollte ich sie doch kennenlernen.«
Sitze neben Berta. In der Ecke des Wohnzimmers lehnt ihr Rucksack. Am Boden liegt der Laptop mit Adapter und Kabel. Der Raum sieht unordentlicher aus als sonst, was wohl daran liegt, dass
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