Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
Vom Netzwerk:
Budget sieht 75 Prozent Steuer für Top-Verdiener vor +++ Große Verluste für Raiffeisenkonzern in Osteuropa +++ Wirtschaftswachstum in Österreich nur 1 Prozent +++ 5 Prozent mehr Arbeitslose +++

1975
    Josef hatte Amalias graues Haar nach hinten gekämmt, ihr in das weiße Baumwollnachthemd geholfen, dann ging er zum Herd Erdäpfelpüree kochen. Bevor die Gäste kamen, musste Amalia noch ihren künstlichen Darmausgang reinigen, vor dem sie sich mehr ekelte als vor allen Krankheiten der Welt. Sie wollte das alleine erledigen, ohne Josefs Hilfe. Amalia stand vor dem Waschbecken, das Nachthemd bis an den Hals hochgeschoben. Josef beobachtete besorgt, wie sie ihren Bauch abwischte. Bei der Entleerung des Plastikbeutels war Kot an dessen Außenseite hängen geblieben. Um ihre Übelkeit zu bezwingen, unterbrach Amalia die Reinigung, wendete ihr Gesicht ab und stützte sich mit beiden Armen am Waschbecken auf. Josef kam zu ihr.
    »Lass mi des machen«, sagte er und nahm ihr den feuchten Waschlappen aus der Hand. Mit seinem Bein stand er neben ihr, stützte sich mit der Hüfte am Waschtisch ab, seine Krücken lehnten am Küchensessel.
    »Des is so … des is so … widerlich«, sie schaute auf ihren Darmausgang, den die Ärzte ihr gleich seitlich vom Nabel gesetzt hatten, und der nicht aufhören wollte, Kot abzusondern. Dünnflüssig lief er aus ihrem Bauch. Gewöhnlich wurde er im Plastikbeutel aufgefangen, aber da Josef ihn nun auswusch, quoll die braune Masse mit ekelhaftem Geruch ungehindert aus ihr hervor. Das
Colostoma
, wie Mediziner ihren künstlichen Ausgang nannten, bewies Amalia, dass sie nichts im Griff hatte. Alles machte, was es wollte. Vor allem ihr Körper. Der jetzt auch noch anfing, vor Zorn zu schluchzen.
    »Kumm, lass guad sein, i mach scho«, war Josefs hilfloser Versuch, Amalias Verzweiflung zu lindern. Er wollte ihr helfen, ihr im Kampf mit ihrem Körper beistehen. Josef ließ warmes Wasser über den Waschlappen laufen, drückte ihn aus und wischte Amalias Bauch behutsam rund um den Darmausgang ab, der noch rot und geschwollen von der Operation war. Sie musste furchtbare Schmerzen haben, wusste er, Schmerzen, die sie trotzdem leichter ertrug als den Plastikbeutel voll Kot an ihrem Bauch.
    Vor zwei Wochen war sie in der Wohnung zusammengebrochen. Im Spital wurde sie notoperiert. Außer dem Colostoma gab es für Amalia noch Schmerzmittel. Sonst nichts.
    »Frau Panticek, ich verschreibe Ihnen Morphiumspritzen, die werden Ihnen helfen«, hatte der junge Arzt gesagt. Er war mit betrübtem Gesicht neben ihrem Krankenbett gestanden.
    »Na, des wü i ned«, war Amalia wie immer energisch.
    »Aber das ist das Einzige, was ich für Sie tun kann«, meinte der Arzt. Er schaute zu Josef, um in ihm einen möglichen Verbündeten zu finden.
    »Na, i wü ned süchtig werden«, ließ sich Amalia von ihrem Entschluss nicht abbringen. Der Arzt schaute sie mitleidig, doch mit einem Anflug von Geringschätzung an. Er wollte sagen: »Frau Panticek, was macht das schon? Wenigstens sind die letzten Wochen Ihres Lebens schmerzfrei.« Aber er sagte nichts, sondern seufzte und respektierte ihren Starrsinn.
    »Kann ich sonst etwas für Sie tun?«, fragte er.
    »I wü ned im Spital bleiben, Herr Doktor. Derf i ham?« Wie ein eingetrocknetes, dürres Kind lag Amalia in ihrem Krankenbett. Aus dem blassen Gesicht funkelten ihre dunklen Augen, die tief eingesunken waren.
    »Selbstverständlich, Frau Panticek. Ich bringe Ihnen die Entlassungspapiere.«
    Amalia nickte zufrieden und ließ sich beruhigt auf das Kopfpolster zurücksinken. »Danke«, sagte sie.
    Josef ging hinter dem Arzt aus Amalias Krankenzimmer. »Herr Doktor, geben S’ mir des Rezept. Die Schmerzen wern no stärker, oder?«
    Der Arzt schaute Josef an. »Damit ist zu rechnen.« Er sah Josefs amputiertes Bein, stellte sich kurz Josefs Kriegserlebnisse vor, dachte an die krebskranke Frau im Zimmer und dass manche Leute bei der Verteilung des Unglücks einfach mehr ausgefasst hatten. »Bitte, Herr Panticek«, überreichte er Josef das Rezept, »damit wird sie wenigstens schlafen können. Leider ist es chefarztpflichtig.« Dieses »leider« war ihm ein Anliegen.
    »Schon in Ordnung, Herr Doktor. Dankschön«, steckte Josef das Papier ein und wäre nie auf die Idee gekommen, sich über einen zusätzlichen Behördenweg zu beschweren.
    »Alles Gute.«
    Josef hörte Amalias unterdrücktes Weinen. Für einen Moment fürchtete er, er hätte ihr mit dem Waschlappen wehgetan.

Weitere Kostenlose Bücher