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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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you’re seeing is an insulin reaction!
     
    Geben Sie mir Zucker, schnell!
    Feed me sugar, quick!
     
    Merrill verschlingt Zucker, Bonbons, Orangensaft und
Schokolade, hebt seinen gefallenen Zuckerspiegel an, so daß er aus seiner
Insulinreaktion herauskommt und nun den gegensätzlichen Zustand ansteuert:
Azidose und Koma. Woraufhin er mehr Insulin zu sich nehmen muß. Woraufhin der
Kreislauf von neuem beginnt. Selbst in seinen Träumen übertreibt Trumper.
    Kurz vor
München bemüht sich Bogus um eine objektive Sichtweise; er gräbt sein Tonband
aus und nimmt im Bus folgende Feststellung auf: »Merrill Overturf und andere
absonderliche Personen sind nicht dazu geeignet, unter Bedingungen zu leben,
die ein durchorganisiertes Leben erfordern. Diabetes zum Beispiel…« (und denkt:
die Ehe zum Beispiel… )
    Doch ehe er das
Tonband abstellen kann, fragt ihn sein Nachbar auf deutsch, was er tue,
vielleicht hat er Angst vor einem Interview. Trumper weiß, daß die Aufnahme
jetzt ohnehin verhunzt ist, läßt das Band weiterlaufen und antwortet, in der
Annahme, der andere könne nur Deutsch, auf englisch: »Was haben Sie denn zu
verbergen, mein Herr?«
    »Ich verstehe
Sie sehr gut«, erwidert der Mann auf englisch, und in eisigem Schweigen fahren
sie weiter.
    Um Frieden zu
schließen, fragt Trumper an der Endstation den beleidigten Fahrgast, wer Fehls
Zunder war. Doch der gibt zu verstehen, daß er die Frage widerwärtig findet;
ohne zu antworten, eilt er davon und läßt Bogus stehen; der muß die Blicke
einer Reihe [286]  von Leuten
ertragen, die ihren Dialog mit angehört haben und denen beim Namen Fehls Zunder
nichts Gutes in den Sinn gekommen sein kann.
    Trumper fühlt
sich fremd und fragt sich recht erstaunt: Was tu ich eigentlich hier?
Unbeholfen läuft er durch eine ihm unbekannte Münchner Straße, kann plötzlich
weder die Schilder lesen noch das Stimmengewirr um sich herum verstehen und
stellt sich alle möglichen Schrecklichkeiten vor, die im selben Augenblick in
Amerika passieren könnten. Ein amoklaufender Tornado wütet im Mittleren Westen
und schleudert Biggie für immer aus Iowa hinaus. Colm wird in Vermont unter
einer Schneewehe begraben. Cuthbert Bennett genehmigt sich einen in der
Dunkelkammer, trinkt aus Versehen ein Cocktailglas Microdol-X, zieht sich ins
siebzehnte Klo zurück und spült sich ins Meer. Währenddessen trinkt Trumper,
weit weg von diesen fürchterlichen Ereignissen, im Münchner Hauptbahnhof ein
Glas Starkbier, nachdem er beschlossen hat, von hier aus mit dem Zug nach Wien
zu fahren. Ihm ist klar, daß er immer noch auf den Moment seiner Reise wartet,
wo er plötzlich von dem Gefühl, das Abenteuer der Rückkehr zu erleben, in
Hochstimmung versetzt wird.
    Erst als er in
Wien ankommt und dieses Gefühl immer noch nicht hat, zieht er die Möglichkeit
in Erwägung, daß Abenteuer eventuell eine Zeit und kein Ort ist.
    Er ging die Mariahilferstraße entlang, bis ihn das unförmige
und schwere Tonband und die anderen Sachen in seiner Reisetasche dazu bewogen,
auf eine Straßenbahn zu warten.
    Beim Esterhazy-Park
stieg er aus der Tram aus, denn ganz in der Nähe, daran konnte er sich noch
erinnern, war ein großer Secondhand-Laden; hier kaufte er eine gebrauchte
Schreibmaschine mit den seltsamen deutschen Umlauten. Der Verkäufer wechselte
ihm großzügig die deutsche und amerikanische Währung, die er bei sich hatte, in
Schillinge.
    [287]  Trumper
kaufte außerdem noch einen knöchellangen Mantel; die Schulterklappen waren
abgerissen, und den Rücken zierte ein sauberes Einschußloch, aber sonst war er
in einem phantastischen Zustand. Um seine Kleidung als Nachkriegsspion zu
vervollständigen, erstand er noch einen sackförmigen Anzug mit breiten
Schultern, mehrere gelblichweiße Hemden und einen ein Meter achtzig langen
violetten Schal. Den Schal konnte man auf verschiedene Weise drapieren, so daß
ein Schlips sich erübrigte. Dann kaufte er noch einen Koffer, der mehr Riemen
und Schnallen und Gurte als Fassungsvermögen hatte. Doch er paßte ausgezeichnet
zu seiner übrigen Ausstattung. Er sah aus wie ein reisender Spion, der seit
1950 im Orientexpreß zwischen Istanbul und Wien hin und her fuhr. Schließlich
kaufte er sich noch einen Hut, wie ihn Orson Welles in Der dritte Mann trug. Er erwähnte den Film sogar im Geschäft, doch der
Verkäufer sagte, den habe er wohl nicht gesehen.
    Bogus verkaufte
seine Reisetasche für etwa zwei Dollar, schleppte dann sein Tonband, die Hemden
und

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