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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Trumper erinnert sich
daran, daß die Kellner im ›Hawelka‹ nie besonders scharf auf Schwierigkeiten
waren.
    »Ist Ihnen
nicht gut?« fragt ihn der Kellner. Er packt Trumper fest am Arm, zieht ihn von
dem Mädchen weg, bis er seinen Koffer fallen läßt. Der gibt ein seltsames
Geräusch von sich, und der Kellner macht einen Satz, wartet auf die Explosion.
Die Leute an den Nebentischen beäugen den Koffer, als sei er gestohlen, oder
lebensgefährlich, oder beides.
    »Bitte,
erzählen Sie mir’s doch«, sagt das neongrüne Mädchen. »Mir können Sie alles
erzählen«, meint sie, »es ist schon in Ordnung.« Doch Bogus hebt seinen Koffer
auf, wendet den Blick von dieser Femme fatale ab – die eine gute Höhlenmama in
einem Sexclub abgeben könnte. Alle starren ihn an, als Trumper nachschaut, ob
der Reißverschluß an seiner Hose auch zu ist. Er erinnert sich deutlich daran,
wie er ein Kondom entfernt hat…
    Dann ist er
draußen, hat gerade noch die Prophezeiung des schwarzgekleideten bärtigen
Typen, der an der Tür sitzt, aufgeschnappt. »Gleich um die Ecke«, sagte der
Prophet mit einer so überzeugten Stimme, daß Bogus ein Schauder über den Rücken
läuft. Er geht hinaus auf den Graben und weiter in Richtung Stephansplatz.
Nein, es war nicht um diese Ecke, beruhigt er sich, der
Prophet muß das im übertragenen Sinne gemeint haben, das ist schließlich die
Masche, mit der alle Propheten auf Nummer Sicher gehen. Als nächstes will er
Merrill im ›Zwölf-Apostel-Keller‹ suchen, doch er verirrt sich und landet
schließlich am Hohen Markt, wo die Holztische und Obststände für die Nacht mit
Planen zugedeckt sind; er stellt sich vor, daß die Händler schlafend unter den
Planen liegen. Der Platz sieht aus wie ein Freilicht-Leichenschauhaus. Der
›Zwölf-ApostelKeller‹ war schon immer schwer zu finden.
    Er fragt einen
Mann nach der Richtung, doch der ist ganz sicher der falsche Ansprechpartner;
er starrt Bogus nur an.
    [291]  »Kribf?« meint
er, oder so ähnlich. Trumper versteht es nicht. Dann macht der Mann ein paar
seltsame Bewegungen, als suche er in seinen Taschen nach geschmuggelten Uhren,
falschen Meerschaumpfeifen, schmutzigen Fotos oder einem Revolver.
    Bogus rennt
zurück zum Stephansplatz und den Graben entlang. Schließlich bleibt er unter
einer Straßenlaterne stehen und schaut auf seine Armbanduhr; Mitternacht ist
schon vorbei, da ist er sicher, doch er weiß nicht, wie viele Zeitzonen er seit
Iowa hinter sich gelassen hat, und er weiß auch nicht mehr, ob er seine Uhr
nicht schon umgestellt hatte. Auf der Uhr steht: 2:15.
    Eine
gutgekleidete Frau undefinierbaren Alters kommt ihm auf dem Bürgersteig
entgegen, und er fragt sie, ob sie die Zeit hat.
    »Klar«, sagt
sie und bleibt neben ihm stehen. Sie trägt einen teuer aussehenden Pelzmantel
und hat die Hände in einem Muff aus gleichem Material vergraben; außerdem
Pelzstiefel mit Absätzen, mit denen sie jetzt scharrt. Verblüfft starrt sie auf
Trumper, bietet ihm dann ihren Arm an. »Hier geht’s lang«, sagt sie, etwas
verärgert, weil er sich nicht bei ihr unterhakt.
    »Die Zeit?«
sagt er.
    »Zeit?«
    »Ich habe
gesagt: ›Haben Sie die Zeit?‹«
    Sie starrt ihn
an, schüttelt den Kopf und lächelt schließlich. »Ach so – Sie wollen wissen,
wie spät es ist?«
    Dann merkt er,
daß sie eine Hure ist.
    Er befindet
sich auf dem Graben, und die Prostituierten im Ersten Bezirk sind in den
kleinen Gäßchen um den Graben und die Kärntner Straße verteilt.
    »Äh«, sagt er,
»es tut mir leid. Ich hab das Geld nicht. Ich wollte nur wissen, wie spät es
ist.«
    »Ich hab keine
Uhr«, sagt die Prostituierte und schaut sich schnell um; sie will keinen
potentiellen Kunden dadurch entmutigen, daß sie hier bei Trumper steht. Doch
niemand ist da, außer einer zweiten Prostituierten.
    [292]  »Gibt
es hier eine Pension?« fragt Bogus. »Nicht zu teuer.«
    »Kommen Sie«,
sagt sie und geht vor bis an die Ecke zur Spiegelgasse. »Dahinten.« Sie deutet
auf eine blaue Neonlampe. »Die Pension ›Taschy‹.« Dann geht sie weg, wieder den
Graben entlang auf die andere Prostituierte zu.
    »Vielen Dank«,
ruft Bogus ihr nach, und sie winkt mit dem Muff über die Schulter zurück, zeigt
dabei einen Moment lang eine unbehandschuhte, elegante Hand mit blitzenden
Ringen.
    Im Foyer der
Pension ›Taschy‹ stehen noch zwei Prostituierte, die sich aus der Kälte hierher
geflüchtet haben; sie stampfen mit den Stiefeln und schlagen ihre rosa

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