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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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angst machte. Er hielt Bogus für verrückt und schob den
Hundertdollarschein in seine Unterhose, vorn ganz tief hinein, wo er ihn nicht
lange suchen mußte. Vielleicht gibt er mir noch [374]  einen, dachte er. Oder er versucht, sich diesen
hier wiederzuholen.
    Dante Calicchio
war klein und vierschrötig, hatte wuschelige schwarze Haare und eine Nase, die
ihm so oft gebrochen worden war, daß sie im Gesicht hin und her zu flattern
schien. Er hatte früher geboxt; über seinen Kampfstil hatte er gerne gesagt, er
sei immer mit der Nase vorne dran. Er hatte auch gerungen, daher seine
Blumenkohlohren. Ein reizendes Paar, ganz zerknittert und geschwollen und
lappig, wie zwei ungleiche Klumpen Hefeteig, die man ihm an den Kopf geklatscht
hatte. Laut schmatzend kaute er einen Kaugummi; das hatte er sich angewöhnt,
nachdem er, vor Jahren, das Rauchen aufgegeben hatte.
    Dante Calicchio
war ein braver Bürger, der sich dafür interessierte, wie andere Menschen lebten
und wie andere Orte aussahen; deshalb war er ganz froh, diesen Irren nach Maine
fahren zu können. Doch als sie nördlich von Boston waren– es war schon dunkel,
der Verkehr ließ immer mehr nach, bis fast kein Auto mehr zu sehen war –, da
bekam er ein wenig Angst davor, sich mit einem Mann, der seit New York keinen
Laut mehr von sich gegeben hatte, in diese Wildnis zu begeben.
    Der
Angestellte, der in New Hampshire die Autobahngebühren einkassierte, besah sich
Dantes Chauffeuruniform, starrte auf den Plüschsitz im Fond, wo Bogus vor sich
hin dämmerte, und da kein anderes Auto in Sicht war, fragte er Dante, wohin es
denn gehe.
    »Maine«,
flüsterte Dante, als sei es ein heiliges Wort. – » Wohin in
Maine?« wollte der Angestellte wissen. Der Bundesstaat Maine war schließlich
nur zwanzig Minuten von seinem täglichen Arbeitsplatz entfernt.
    »Ich weiß nicht
genau, wohin«, sagte Dante, und der Angestellte gab ihm das Wechselgeld zurück
und winkte ihn durch. »Hey, Sir«, wandte Dante sich an Bogus, »wohin denn in
Maine?«
    Georgetown ist
eine Insel, aber in Trumpers Gedanken war es [375]  noch inseliger, als es ohnehin schon ist. Es
könnte auch als Halbinsel durchgehen, da es durch eine Brücke mit dem Festland
verbunden ist; die Unbequemlichkeiten einer wirklichen Insel fallen also weg.
Doch Trumper dachte an das wunderbare Flair der Einsamkeit, das Couth diesem
Ort verlieh. Aber Couth könnte einem wahrscheinlich auch am Kennedy Airport das
Gefühl von Einsamkeit vermitteln.
    Bogus überlegte
sich, wie er sich Biggie am geschicktesten nähern sollte; erst jetzt merkte er,
wie sehr er sie vermißt hatte. Den Sommer über würde sie auf keinen Fall in
Iowa bleiben. Im Moment war sie wahrscheinlich in East Gunnery, half ihrem
Vater und überließ Colm der Fürsorge ihrer Mutter. Es war sogar denkbar, daß
seine Eltern sie mit einem Wir-haben’s-dir-ja-gesagt-Unterton eingeladen
hatten, jetzt, wo er sie verlassen hatte, doch sicherlich hätte sie diese Hilfe
zurückgewiesen.
    Jedenfalls
hatte sie ganz bestimmt Couth geschrieben, hatte ihn gefragt, ob er wisse, wo
Bogus sei, und Couth wußte sicher, wo sie war und welche
Gefühle sie ihrem entlaufenen Ehemann entgegenbrachte. Vielleicht hatte Couth
sie sogar gesehen und konnte ihm sagen, wie Colm sich machte.
    »Hey, Sir«,
sagte jemand zu ihm. Es war der Mann auf dem Fahrersitz mit der Liftboyuniform.
»Hey, Sir, wohin in Maine?«
    Trumper sah aus
dem Fenster; sie fuhren gerade die leere Umgehungsstraße von Portsmouth Harbour
entlang und über die Brücke nach Maine. »Georgetown«, sagte er dem Fahrer. »Es
ist eine Insel. Halten Sie lieber an und sehen Sie auf der Karte nach.«
    Und Dante
Calicchio dachte: Eine Insel! Mensch, wie soll ich denn auf eine
Insel fahren, duverdammter
Idiot…
    Doch Dante nahm
die Straßenkarte und sah, daß es vom Festland, von Bath aus, eine Brücke über
die Mündung des Kennebec River nach Georgetown Island gab. Als sie die Brücke
irgendwann nach Mitternacht überquerten, öffnete Bogus das Fenster und fragte
ihn, ob er das Meer riechen könne.
    [376]  Was
Dante roch, war zu frisch, um das Meer zu sein. Das Meer, das Dante kannte,
roch nach den Docks von New York und Newark. Das salzige Sumpfland hier hatte
einen durchdringenden, sauberen Geruch, und auch er kurbelte seine Fensterscheibe
herunter. Doch am Fahren hatte er keinen Spaß mehr. Die Straße auf der Insel
hatte lockere, sandige Bankette, war eng und kurvig und hatte keinen
Mittelstreifen. Häuser gab

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