Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
es auch keine, nur tiefschwarze Kiefern und Streifen
hoher Seegräser.
Und die Nacht
war erfüllt von Geräuschen. Keine Hupen oder quietschenden Reifen oder Stimmen
namenloser Menschen oder Sirenen, sondern seltsame Dinge – Frösche und Grillen
und Seemöwen und Nebelhörner draußen am Meer.
Die
schrecklichen Geräusche auf einer so einsamen Straße ließen Dante Calicchio vor
Angst fast in die Hose machen; immer wieder taxierte er Bogus im Rückspiegel
und dachte: Wenn dieser Verrückte mir auf ’ne krumme Tour kommt, kann ich ihm
zweimal das Rückgrat brechen, ehe seine Freunde auf mich losgehen…
Trumper
überlegte sich, wie lange er bei Couth bleiben würde und ob er Biggie anrufen
oder sie erst dann aufsuchen sollte, wenn die Zeit reif schien.
Als die Straße
plötzlich nicht mehr asphaltiert war, trat Dante heftig auf die Bremse,
verriegelte die beiden Vordertüren und dann die beiden hinteren, ohne Bogus
auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen.
»Was zum Teufel
machen Sie da?« fragte Trumper, doch Dante Calicchio saß unbeweglich auf dem
Fahrersitz, schaute mit einem Auge im Rückspiegel auf Trumper und mit dem
anderen auf die Straßenkarte.
»Wir haben uns
wohl verfahren, was?« meinte er.
»Nein«,
entgegnete Trumper, »wir müssen noch etwa fünf Meilen weiter.«
»Und wo ist die
Straße?« wollte Dante wissen.
[377] »Wir
sind schon drauf «, antwortete Bogus. »Fahren Sie
weiter.«
Dante schaute
nochmals auf der Karte nach, sah, daß da tatsächlich eine Straße eingezeichnet
war, und fuhr ängstlich weiter, das heißt, er fuhr im Schrittempo, während die
Insel zu beiden Seiten immer schmaler wurde. Einige unbeleuchtete Häuser kamen
in Sicht, feierlich standen sie da wie Schiffe, die vor Anker liegen, und er
sah, wie sich der Horizont zu beiden Seiten öffnete; da draußen war das Meer,
die Luft wurde kühler, er konnte das Salz riechen.
Dann las er auf
einem Schild, daß er sich auf einem Privatweg befand.
»Fahren Sie
weiter«, sagte Trumper. Dante wünschte, er hätte seine Schneeketten neben sich
auf dem Sitz liegen, und fuhr vorsichtig weiter.
Ein paar
hundert Meter weiter kam ein Schild, auf dem PILLSBURY stand; und der Weg führte so nahe am Wasser entlang, daß Dante
fürchtete, die Brandung würde über sie hinwegschwappen. Dann sah er das
herrliche alte Haus mit den roten Holzschindeln, ein Haus mit hohen Giebeln, an
das eine Garage angebaut war, ein Bootshaus und eine winzige Bucht am Meer.
Pillsbury.
Dante glaubte, er habe es mit einem Mitglied dieser Familie zu tun. Pillsbury,
das war doch die berühmte Backpulver-Dynastie. Er äugte in den Rückspiegel und
überlegte sich, ob er den verrückten jungen Erben eines Kuchenteigvermögens im
Auto hatte.
»Welchen Monat
haben wir?« fragte Trumper. Er wollte wissen, ob Couth noch allein auf dem
Anwesen sein würde oder ob die Pillsburys schon zu ihrem Sommerurlaub angereist
waren. Vor dem vierten Juli kamen sie nie hierher.
»Heute ist der
erste Juni, Sir«, erwiderte Dante Calicchio. Er hielt den Wagen am Ende des
Weges an und lauschte den schrillen Geräuschen, die durch die Nacht drangen –
vermutlich Ochsenfrösche und große Raubvögel, Bären, die durch die dichten [378] Kiefernwälder strichen, und
Tausende von wilden, heimtückischen Insekten.
Als Trumper den
geplättelten Weg zum Haus ging und dabei fortwährend auf das einzige
erleuchtete Fenster starrte, das des herrschaftlichen Schlafzimmers im ersten
Stock, ging Dante einfach hinter ihm her. Er war in einer rauhen Gegend
aufgewachsen und hatte keine Angst, sich noch spät abends einen Sechserpack
Bier zu holen, zu einer Zeit, wo andere Leute sich nur noch in größeren Gruppen
auf die Straße trauten; aber die Stille auf dieser Insel haute ihn wirklich um,
und er hatte keineswegs die Absicht, allein bei all den wilden Tieren zu
bleiben, die dort in den Büschen und Bäumen herumwimmelten und summten.
»Wie heißt du?«
fragte Trumper.
»Dante.«
»Dante?« wiederholte Trumper. Ein Lichtstrahl
fiel auf die Treppe, drang bis in die Diele; eine Verandalampe ging an.
»Couth!« schrie
Trumper. »Hey – ho!«
Wenn’s nur zwei
sind, dachte Dante, werde ich mit den Kerlen schon fertig. Zur Sicherheit
tastete er schnell noch einmal nach dem Hundertdollarschein in seiner
Unterhose.
Ich erkannte den guten alten Couth durch die Verandatür, als er
näher kam, um uns einzulassen; an seinem labberigen Morgenmantel, den er sich
aus einer
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