Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
sie ihn nur an meinen Vater adressiert
hat, nicht an Dr. & Mrs., das heißt,
Mutter wird ihn nicht öffnen, sondern auf die Anrichte vor der Hausbar legen.
    Mein Vater wird
um vier Uhr heimkommen, nachdem er eben einen Harnblasenvorfall reponiert oder
einem Achtzigjährigen mitgeteilt hat, daß eine solche Operation ratsam wäre; er
hat sich in dem blitzblanken Badezimmer seiner Praxis aufs sorgfältigste
rasiert und alle Spuren des Talkumpuders, mit dessen Hilfe er die
Plastikhandschuhe leichter an- und ausziehen kann, entfernt. Er wird meiner
Mutter gestatten, ihm einen flüchtigen Kuß auf die Wange zu hauchen; dann wird
er sich einen ordentlichen Scotch einschenken – nachdem er das Glas prüfend
gegen das Licht gehalten hat, um zu sehen, ob es auch wirklich sauber gespült
ist. Und dann wird er den Brief sehen. Er wird ihn von allen Seiten befingern,
um festzustellen, ob vielleicht ein Scheck darin liegt, und meine Mutter wird
sagen: »O nein, Liebling, er kommt aus Iowa City. Nicht von einem Patienten,
sondern von Fred, meinst du nicht auch?«
    Mein Vater wird
sein Sakko ablegen, den Schlips lockern, durch das Arbeitszimmer zur
Terrassentür schlendern und sich dazu äußern, ob gerade Ebbe oder Flut ist, als
ob das auf wundersame Weise Einfluß darauf hätte, wo er sich dann hinsetzt. Das
scheint nie der Fall zu sein.
    Er wird in dem
gleichen rotledernen Thron wie immer Platz nehmen, sich das gleiche Kissen wie
immer unter die Fersen legen, [192]  an
seinem Scotch schnüffeln und sich ein Schlückchen genehmigen, und dann wird er
Biggies Briefe lesen.
    Wenn sie
gestern mit der Mittagspost weggingen, dann haben sie Chicago längst hinter
sich, vielleicht sogar schon Cleveland, erreichen morgen früh Boston, und
morgen nachmittag oder übermorgen kommen sie in Great Boar’s Head an.
    Genau um diese
Zeit, Couth, tu mir bitte den Gefallen und geh in deine Dunkelkammer und
entwickle zwei Bilder, eins ganz weiß, das andere ganz schwarz; das eine ist
die Hoffnung, das andere der Untergang. Schick sie mir beide. Ich werde dir
das, welches auf meine Situation nicht zutrifft, wieder zurückschicken.
    Mit dem Wunsch,
du, lieber Couth, mögest die Höhen von unendlich viel Hoffnung und Freiheit
genießen, grüßt dich aus dem Tal des drohenden Verhängnisses
    dein Bogus
    Ich stellte mir den guten Couth vor, am regengepeitschten Meer,
wie seine wilde Mähne im starken Nordostwind flatterte, Couth mit einem seiner
altmodischen Seegebete für meinen hoch emporgehobenen Brief, hinter ihm das
leere Anwesen der Pillsburys, eine Vielzahl von Räumen für sein einsames Spiel.
    Ich erinnere
mich an das Ende dieses seltsamen Sommers, als wir in das Bootshaus mit den
schmalen Etagenbetten zogen. »Oben oder unten, Big?«
    »Geh du nach
oben…«
    Couth machte es
sich im Haupthaus gemütlich, nachdem die Pillsburys ihr Anwesen für den Herbst
verlassen hatten.
    Ein jüngerer
Sohn rief an und sagte, er würde eventuell vorbeikommen. »Meine Mutter ist weg,
Couth?«
    »Richtig,
Bobby.«
    »Und Tante Ruth
ist auch nicht da, oder?«
    »Wieder
richtig, Sir.«
    »Also, Couth,
du bist wohl jetzt ins große Haus umgezogen. [193]  Ich will dich da nicht rauswerfen, deshalb
nehmen wir das Bootshaus.«
    »Wer ist wir,
Bobby?«
    »Eine Freundin
und ich, Couth. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du meinem Vater sagen würdest,
daß ich am Wochenende allein hier war.«
    »Tut mir leid,
Bobby, da sind schon ein paar im Bootshaus. Freunde von mir. Aber im großen
Haus sind noch ein paar Schlafzimmer frei, und –«
    »Ein
Schlafzimmer reicht uns, Couth. Mit ’nem Doppelbett…«
    Im Billardzimmer half Biggie Colm dabei, ein Feuer zu machen,
und Couth und ich legten die Bälle zurecht.
    »Diesen Herbst
ist’s wohl aus mit der Gemütlichkeit«, meinte Couth traurig, »jetzt, wo ein
paar der Pillsbury-Kinder ins Bumsalter gekommen sind. Sie werden mit ihren
Tussis am Wochenende hier aufkreuzen. Aber nach November wird’s ihnen zu kalt
sein.«
    Das große
Herrenhaus wurde nur mit Kohleöfen oder offenen Kaminen geheizt. Couth mochte
die Wintermonate am liebsten, da war er für das ganze Haus allein
verantwortlich, konnte den ganzen Tag mit Kohle und Holz herummachen und nachts
die Glut mit Asche bedecken, damit seine Chemikalien in der Dunkelkammer nicht
einfroren. Nach dem Abendessen nahm er Colm mit dort hinein und entwickelte
eine Serie von Fotos: Colm, wie er auf der Mole einen Schlammwurm zerdrückte.
Colm, wie er ihn mit einem Turnschuh

Weitere Kostenlose Bücher