Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
Männer heben ihre kahlgeschorenen Häupter über
die Rückenlehnen der Friseurstühle und schauen zu, wie ich mich auf dem
Gehsteig winde, als seien sie Eulen – und ich eine Maus mit Klumpfuß.
Ralph zieht mir
die Schuhe aus und erlöst mich von unsäglichen Schmerzen, stößt dann einen
Pfiff aus beim Anblick der Unmenge von Wunden, den furunkelgroßen Schwellungen
und verdreckten Löchern, die mich aussehen lassen wie nach einem Flakangriff.
Er nimmt sich meiner an. Als wir wieder auf dem Fahrrad sitzen, nimmt er die
zusammengebundenen Schnürsenkel meiner Schuhe zwischen die Zähne, während ich
mit der Ente auf der Stange balanciere und sorgfältig darauf achte, daß meine
nackten Füße nicht zwischen die schrecklichen Speichen geraten.
»So kann ich
nicht nach Hause gehen«, jammere ich.
»Und wenn die
Ente Freunde hat?« fragt er mich. Dabei rutschen ihm die Schnürsenkel durch die
Zähne, und er schiebt die Lippen vor, als wolle er die Schuhe aufessen. »Und
wenn die Freunde dieser Ente nach dir suchen?« grunzt er und biegt in die Iowa
Avenue ein.
»Bitte, Ralph.«
Aber er
entgegnet mir: »Solche Füße hab ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Ich
bring dich nach Hause, Baby.« Und die zeitliche Abstimmung paßt wie die Faust
aufs Auge. Meine Lotterkiste steht qualmend am Straßenrand; Biggie ist gerade
vom Einkaufen zurück, und das bebende, überhitzte Auto ringt keuchend um Luft
nach der anstrengenden einmeiligen Reise mit zwanzig Meilen die Stunde.
»Hilf mir in
den Keller, Ralph«, flüstere ich. »Da ist ein altes Waschbecken. Da kann ich
mir wenigstens das Gesicht [242] waschen…«
Mir kommt der glorreiche Geruch in den Sinn, den die Jäger an mir entdeckt
hatten. Und die Federn in meinem Schnurrbart? Biggie muß ja nicht gerade
denken, daß ich die Ente mit den Zähnen gerupft habe.
Wir stolpern
über den Rasen neben dem Haus, vorbei an Mr. Fitch, meinem pensionierten
Nachbarn, der immer noch seinen Rasen recht, damit der Schnee sich auf
sauberem, welkem Gras niederlassen kann. Unbedacht winke ich ihm mit der Ente
zu, und der alte Kauz sagt freundlich: »Ho ho! Früher bin ich auch zur Jagd
gegangen. Aber heute komm ich nicht mehr dazu…« Er steht da wie ein spröder
Eiszapfen, auf seinen Rechen gelehnt, und wundert sich überhaupt nicht, daß ich
kein Gewehr dabeihabe. Zu seiner Zeit gingen sie wahrscheinlich noch mit
Speeren zur Jagd.
Ralph lädt mich
an der Kellertür ab, und obwohl es Mr. Fitch sonnenklar sein muß, daß ich
keinen Schritt alleine gehen kann, scheint er überhaupt nicht besorgt; zu
seiner Zeit mußte man wohl bei einer zünftigen Entenjagd immer mit ein paar
Toten rechnen.
Wie ein Sack
Kohlen werde ich in den Keller getragen, meine Schuhe hängen mir über die
Schulter wie einem Ochsen sein Joch.
Ich finde den
kühlen, feuchten Kellerboden höchst angenehm für meine Füße. Ralph steckt
seinen Bärenkopf noch einmal durch die Tür. »Alles klar, Thump-Thump?« Ich
nicke. Als er die Tür vorsichtig schließt, raunt er mir noch schnell zu: »Thump-Thump,
eines schönen Tages wirst du mir das erzählen…«
»Klar, Ralph.«
Dann höre ich
Biggies Stimme vom Küchenfenster. Sie ruft: »Ralph?«, und ich verkrieche mich
noch tiefer in den Keller.
»Hallo, Big!«
ruft ihr Ralph fröhlich zu.
»Was machst du
da?« In ihrer Stimme schwingt kaltes Mißtrauen mit. Das ist typisch für meine
Biggie, sie hat es nicht mit Lüstlingen wie Ralph Packer. Obwohl es ein
törichter Moment dafür ist, bin ich stolz auf sie.
[243] »A-hem«,
sagt Ralph.
»Was machst du
in unserem Keller?« fragt Biggie.
»Also,
genaugenommen war ich nicht in eurem Keller, Biggie.«
Blind taste ich
mich zu der Stelle vor, wo ich den Spülstein vermute; wohl wissend, daß mir nur
wenig Zeit bleibt, ehe ich entdeckt werde, denke ich mir ganze Romane aus.
»Spielst wohl
ein Spiel, Ralph?« fragt Biggie, spielerischer, als mir lieb ist. Laß nicht
locker, Big. Sei gnadenlos.
Ralph lacht
nicht sehr überzeugend, als ich direkt in die Falle trete, die für Risky Mouse
aufgestellt ist, diese furchtbare Wombatfalle, die ein kleines Rückgrat im Nu
zerschmettert. Ich glaube, sie ist direkt auf einer der furunkelgroßen
Stacheldrahtwunden zugeschnappt, denn im Keller schien es plötzlich taghell zu
werden, und einen Augenblick lang konnte ich alles um mich herum ganz deutlich
erkennen, so, als hätte jemand auf den Lichtschalter an der Kellertreppe
gedrückt. Ich konnte den Schrei nicht
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