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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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der Hand oder mit einem Kind, das auf der
weiblich geformten, ausladenden Hüfte sitzt. Einer aus der Gruppe ruft zu mir
herüber: »He, was ’n los, Sportsfreund?«
    Aber mir fällt
keine Erklärung ein. Sollen sie doch raten: Ein Mann, den die zerfleischte Ente
in seiner Hand zerfleischt hat?
    »Was schreien
Sie denn so?« ruft eine der Bettlakenfrauen und schwankt wie ein Schiff, dem
der Wind kräftig in die Segel bläst.
    Ich suche die
Gruppe nach einem potentiellen Samariter ab. Entdecke hinter ihnen einen
Freund, der sich auf seinem Rennrad zwischen den Baracken hindurchschlängelt:
Ralph Packer, [239]  häufiger
unbefugter Besucher dieser traurigen Umgebung, des Wohnheims für Verheiratete
Studenten. Der lässig in die Pedale tretende Ralph, der sich geschickt durch
die zusammengedrängten Hausfrauen fädelt.
    »Ralph!« brülle
ich und sehe, wie sein Vorderrad schlingert, schaue zu, wie er sich über den
Lenker bückt und den Kopf schützend einzieht, dann ist er hinter einer Baracke
verschwunden. Ich schreie nochmals: »Ralph Paaaaack-er!« Wie ein Pfeil kommt
das Rennrad wieder hervorgeschossen; Ralph fährt im Slalom um die Pfosten der
Wäscheleinen. Aber diesmal schaut er über den Fluß und versucht seinen
potentiellen Angreifer zu erspähen; zweifellos rechnet er ständig mit
verheirateten Studenten, die die Pistole fürs Duell schon in der Hand haben.
Aber statt dessen sieht er mich! Na, das ist ja nur Bogus Trumper, der mit
seiner Ente spazierengeht.
    Ralph
schlängelt sich durch die Zuschauermenge und radelt hochnäsig ans Ufer.
»Hallo!« schreit er. »Was machst du da?«
    »Er brüllt wie
am Spieß«, meint die Bettlakenfrau.
    »Thump-Thump?«
ruft Ralph.
    Doch ich bringe
nicht mehr als ein lautes »Ralph!« heraus. Ich bemerke einen blöde-ekstatischen
Klang in meiner Stimme.
    Ralph
balanciert auf der Stelle, läßt die Pedale ein-, zweimal rückwärts kreisen,
dann reißt er das Vorderrad hoch und stürzt nach vorne los, gleitet den Uferweg
entlang. »Los, faß!« kommandiert er sein Rad. Wenn es einen gibt, der auf dem
Fahrrad mit quietschenden Reifen anfahren kann, dann ist es der Schwerenöter
Ralph Packer.
    Das
Brückengeländer zerstückelt ihn, eine Collage aus Füßen und Speichen auf dem
Weg zu mir überquert den Fluß. Oh, Hilfe ist nah. Ich lege mein ganzes Gewicht
auf ein Knie und komme schwankend auf die Füße, doch ich traue mich nicht,
einen Schritt zu tun. Ich halte die Ente hoch.
    Ralph starrt
auf die gerupfte Ente und meinen [240]  Federschnurrbart.
»Mein Gott, war es ein fairer Kampf? Von hier sieht es aus wie ein
Unentschieden.«
    »Ralph, hilf
mir«, stöhne ich. »Meine Füße.«
    »Deine Füße ?«
Er stellt das Rennrad an der Bordsteinkante ab. Als er versucht, mich zu
stützen, poltert jemand vom anderen Ufer herüber: »Was ’n los mit ihm?«
    »Seine Füße !«
schreit Ralph, und die Menge unter der Wäscheleine murmelt verstört.
    »Langsam,
Ralph, nicht so schnell.« Ich stolpere auf sein Fahrrad zu.
    »Das ist ein
ganz leichtes Fahrrad«, sagt er mir, »paß auf, daß du nicht die Stange
verbiegst.«
    Ich weiß zwar
nicht, wie ich es vermeiden könnte, die Stange zu verbiegen, wenn sie sich
unbedingt verbiegen will, doch ich mache mich so leicht wie möglich und zwänge
mich zwischen den Lenker und Ralphs Knie.
    »Was ist denn
los mit deinen Füßen?« fragt er, als wir die Clinton Street entlangschlingern.
Ein paar der verheirateten Studenten winken uns nach.
    »Ich bin auf
was draufgetreten«, weiche ich aus.
    Ralph empfiehlt
mir, die Ente nicht zu weit über den Lenker hinabbaumeln zu lassen. »Der Vogel
könnte sich in den Speichen verheddern. Thump-Thump…«
    »Bring mich
nicht zu mir nach Hause.« Mir fällt ein, daß ich mich vorher noch ein bißchen
waschen sollte.
    »Zu Benny?«
schlägt Ralph vor. »Ich geb dir ein Bier aus.«
    »Bei Benny kann
ich mir die Füße nicht waschen.«
    »Da hast du
auch wieder recht.«
    Wir schlingern
stadteinwärts. Noch ist es hell, aber es wird schnell dunkel; die Samstagabende
beginnen hier so früh, weil sie so schnell vorbeigehen.
    Als ich auf der
Stange das Gewicht verlagere, spüre ich, wie sich mein vergessenes Kondom
aufrollt. Bei dem Versuch, mich in eine [241]  bequemere Position zu bringen, schiebe ich eine Zehe genau
zwischen den Kettenschutz und das Hinterrad; der Schmerz bringt den Himmel ins
Wanken. Als wir auf den Bürgersteig vor Grafton’s Friseursalon purzeln, schreit
Ralph laut auf. Einige belatzte

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