Die wilden Jahre
ein letztes Mal flinke Segelboote auf der Alster. In Berlin drängten sich die Müßiggänger in die Straßencafes am Kurfürstendamm. In Paris füllte der Tag die Spielplätze im Jardin de Luxembourg. In Wien öffnete die Wärme die Fenster wie die Herzen. In München zog eine lange Karawane von Kinderwagen durch den Englischen Garten, in dem Susanne Lessing die Stätten ihrer Kindheit aufsuchte.
In Frankfurt rollte eine endlose Autoschlange Richtung Taunus; in dieser Stadt ließ nur Felix sich nicht vom Glanz des Tages blenden. Seit Silbermann ihn in seinem Hotel aufgelauert hatte, wußte er, daß ihn die Schatten der Vergangenheit wieder verfolgen würden.
Rom hatte die Sonne noch von gestern gespeichert; für die Ewige Stadt war der Tag ein Geschenk mehr aus der Hand der Schöpfung.
Es war noch früh am Morgen. Die Sonne zwängte sich durch die Jalousie des Schlafzimmers und malte Streifen in Evas Gesicht.
Sie schlief noch.
Martin stützte den Kopf auf seine Ellbogen und betrachtete sie unverwandt. Ihre Haare waren zerwühlt von der wilden Zärtlichkeit der Nacht, ihre Lippen ohne Rot, ihre Augen ohne Tusche; jetzt, unvorbereitet und unverfälscht, stellte Martin fest, daß sie ihm zu unpassender Stunde womöglich noch besser gefiel als in der geschickten Aufmachung des späten Abends.
Die junge Frau spürte, daß sie beobachtet wurde, drehte sich um, blinzelte gegen das Licht. »Zufrieden?« fragte sie und griff nach Martins Hand.
»Viel mehr als das«, antwortete er. »Weißt du, eine Frau ist erst dann wirklich schön, wenn man sie am Morgen anschauen kann, am Morgen danach – wenn die Nacht noch in ihrem Gesicht klebt und ihre Seufzer in den Ecken des Zimmers schweben.«
»Du bist ja ein Poet«, entgegnete sie mit geschlossenen Augen.
Er strich ihr die wirren Haare aus der Stirn.
»Wie ich diesen Augenblick immer gefürchtet habe, den Morgen, die Sonne, das Licht, die erste Begegnung. Kluge Frauen wissen das und machen sich zurecht, bevor ihr Gefährte erwacht. Aber die Klugheit braucht nicht schön und die Schönheit nicht klug zu sein.«
»Seltsame Komplimente«, erwiderte Eva.
»Nein, wirklich.« Martin zog sie an sich, drehte sie um, küßte ihren Nacken, preßte ihre Schläfen in seine Hände, spürte ihren Körper, biß sie in die Lippe. »Aus Angst vor diesem morgendlichen Anblick habe ich manche Gelegenheit ziehen lassen wie ein Spießer, der nicht trinkt, weil er den Kater fürchtet.«
»Ich habe Hunger«, unterbrach Eva seine freundlichen Geständnisse, löste sich von ihm, stand auf, gähnte, rekelte sich, sah in den Spiegel, schüttelte den Kopf und sagte tändelnd: »Eigentlich hast du einen komischen Geschmack.«
Sie griff nach einer Bürste und strich sich durch die Haare, die sich nicht bändigen ließen. Sie gab es auf und kam zurück, setzte sich auf das Bett, im Abstand seiner Arme.
»Wie machst du das?« fragte Martin. »Hast du etwas, das anderen Frauen fehlt? Ein besonderes Talent, einen Trick?« Er zündete sich eine Zigarette an. Eva griff nach ihr, nahm einen Zug und drückte sie aus.
»Jetzt weiß ich es«, sagte Martin. »Du bist kein Aschenbrödel, sondern eine Hexe. Hexen verbrannte man früher.«
»Was geschieht heute mit einer Hexe?«
»Sie wird geliebt.«
»Große Worte am frühen Morgen.«
»Nichts mehr zu ändern«, entgegnete er zerknirscht. »Alles restlos verfahren. Ich habe dir schon zuviel gesagt und kenne mich nicht wieder. Du hast mich in deiner hübschen Hand. Verdammt – das Schlimmste ist: es tut mir noch gut, ich freue mich darüber.«
»Fein«, erwiderte Eva. »Aber tröste dich, mein Lieber, es wird sich geben.«
Sie setzte die Füße auf den Bettrand, beugte den Oberkörper auf die Kante und legte die Arme darum, betrachtete ihre Zehen, bewegte sie und drehte sich dann zu Martin um. »Du hast alles gehabt, was ein Mann deines Schlages braucht: einen dummen Krieg, genügend Erlebnisse im Bett, einen Sack voll Geld, einen Haufen Macht. Jetzt werden dir deine Errungenschaften – deine Spielzeuge – schon ein wenig langweilig. Du suchst – sicher unbewußt – ein Stück Leben, das dir noch fehlt.«
»Still, Hexe!«
Eva lächelte mit zärtlicher Bosheit. »Außerdem kommst du nunmehr in das Alter, in dem man wieder romantisch wird. Nicht? Wie du weißt, reift das Kind zum Jüngling«, fuhr sie fort, »aus ihm wird ein Mann, aus einem Mann – nicht so schnell natürlich – ein Greis …«
»… und ein Greis wird wieder
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