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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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kindisch«, ergänzte Martin, zog sie an sich und preßte ihre Arme an ihren Körper, so daß sie sich nicht mehr rühren konnte, »und Hexen werden genötigt …«
    »Aber erst nach dem Frühstück«, erwiderte die junge Frau, riß sich los, ging an das Fenster, zog die Jalousien hoch. Die Sonne schoß in den Raum wie ein Überfall. Eva und Martin wurden von dem Glanz geblendet und tasteten mit blinden Augen und sehenden Händen aufeinander zu.
    In Frankfurt begann Felix, die Passanten nach Birnenköpfen zu überprüfen. Fast alle hatten normale Gesichter, aber es schien ihm als wimmle es auf den Straßen von Menschen, die Judentransporte nach dem Osten geleitet und ihr Gedächtnis verloren hatten.
    Nach dem nächtlichen Anruf war Felix zur Flasche geflüchtet. Der Whisky hatte seine Magenwände nicht mit Ekel beschlagen, aber am Morgen spürte er heftige Kopfschmerzen.
    Er verließ das Hotel, irrte ziellos durch die Straßen, nahm ein anderes Quartier, trank weiter und wußte, daß er einen Menschen brauchte, der ihm gegen sich selbst helfen konnte, war entschlossen, Martin endlich anzurufen.
    Er mußte warten, bis die Telefonzelle frei war.
    »Herr Ritt ist in Rom«, meldete eine Frauenstimme.
    »Wann kommt er zurück?«
    »Das ist ungewiß«, fuhr die Stimme fort, die wie ein Tonband zu laufen schien, »aber wir können Nachrichten an Herrn Ritt weiterleiten. Um was handelt es sich bitte?«
    Es handelt sich um einen Mann, dachte Felix bitter, den ich dazu benutzte, um Martins Vater an den Galgen zu bringen. Es handelt sich um eine zu bereinigende Rechnung, die nun wieder vorgelegt werden soll …
    »Sind Sie noch da?« fragte die mechanische Stimme. »Soll ich Sie mit Herrn Doktor Schiele verbinden? Herr Doktor Schiele ist der Bevollmächtigte, der …«
    Felix legte auf. Der Arm, der den Hörer gehalten hatte, war pelzig. Auch in den Beinen hatte er ein taubes Gefühl. Er schüttelte ein unbestimmtes Grauen, das er seit gestern Abend spürte, ab, und erinnerte sich, daß er kein Schwächling war. Er holte den Leihwagen und fuhr zu seinem neuen Hotel; er war erschöpft, doch er hatte nicht mehr die unsicheren Schritte des Flüchtlings, als er an dem Portier vorbeiging.
    Felix verlangte Schlüssel und Rechnung – dann sah er, was er befürchtet hatte: hinter einer Zeitung schob sich ein dickliches, geschwollenes Gesicht hervor, ein gedrungener Mann, dessen Kopf aussah wie eine umgedrehte Birne.
    Silbermann stand auf. Sein Mund platzte wie eine Feigenschale. Ein Lächeln lief ihm langsam wie Säure über das Gesicht; er kam näher, mit wuchtigen, stampfenden Beinen, die das Marschieren nicht lassen konnten. Er trat an Felix heran, der abwartend stehenblieb, wie ein Boxer im Ring.
    »Das ist mir ein Wiedersehen, Herr Lessing!«
    »Was wollen Sie?«
    »Das erkläre ich Ihnen sofort.«
    Sie gingen an die Hotelbar, ließen einen Hocker zwischen sich frei, und wie unter Zwang bestellte Felix einen Whisky.
    »Zwei«, ergänzte der Birnenkopf. »Ich darf Sie doch einladen, Herr Lessing?«
    Felix kostete den Schnaps, ihn nicht mehr wie gestern mit der Zungenspitze genießend; er schüttete ihn hinunter, spürte, wie er den Magen erwärmte und die Sinne bändigte. Er stützte den Kopf auf den Arm, trank ein zweites Glas, empfand – bereit, sich der Vergangenheit zu stellen – unvermittelt eine Ruhe, die ihn die Gegenwart Silbermanns ertragen ließ. »Sie sind ein Glückspilz«, ging er zum Angriff über, »daß die Polen Sie nicht …«
    »Vorbei«, antwortete der Birnenkopf, »die Jahre waren schlimm genug. Aber heute kräht kein Hahn mehr danach.«
    »So ist das«, entgegnete Felix ironisch.
    »Man merkt, daß Sie von drüben kommen. Sie sind aus der Mode, Mann. Heute geht es um andere Dinge. Heute hat man erkannt, wie wichtig und selbstlos damals unser Kampf gegen den Bolschewismus …« Er lachte. »Die Amerikaner, Herr Lessing, sind heute unsere besten Freunde.« Sein Gesicht wurde hämisch. »Wenigstens die echten, die brauchen uns nämlich.«
    »Kommen Sie zur Sache«, zerschnitt Felix die Tirade.
    »Gut«, die Lippen bliesen sich auf, wie mit Luft gefüllt.
    »Gut«, wiederholte er. »Sie wissen, was zwischen uns vorgefallen ist. Ich habe einen Meineid geschworen, um einen gewissen Friedrich Wilhelm Ritt …«
    »Das ist bekannt«, unterbrach ihn Felix und winkte dem Kellner.
    »Durst haben Sie immer noch ganz schön«, sagte Silbermann grinsend. »Auf Meineid steht Zuchthaus, soviel ich weiß. Aber ich

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