Die wilden Jahre
geblieben zu sein schien. Der Trost war bitter.
Mit lautlosen Schritten verließ er das Zimmer, beim Fenster schaute er mechanisch hinaus und merkte, daß es gar nicht regnete.
Als es klingelte, öffnete Martin, da er glaubte, Petra sei gekommen, selbst die Tür und sah vier Männer, gefolgt von einem fünften, aus dem Auto steigen.
»Sind Sie Martin Ritt?« fragte einer.
»Für Sie Herr Ritt«, antwortete er ungehalten, als er sah, daß sie das Haus betraten, als besetzten sie es.
»Kriminalkommissar Krawuttke«, stellte sich der vordere vor. »Ich muß Sie leider verhaften.«
»Was wollen Sie?« fragte Martin.
»Richterlicher Haftbefehl«, antwortete der Beamte und erschrak über das raue, heisere, spöttische Gelächter Martins, der jetzt Rothauch erkannte, den fünften, den Mitschüler.
»Du also, Rothauch«, sagte er.
»Herr Ritt«, erwiderte Rothauch in würdiger Autorität, »zunächst möchte ich Sie bitten, mich mit ,Sie' und meiner Amtsbezeichnung anzusprechen.« Er trat zu dem Verhafteten und musterte ihn ausdruckslos. »Meine Amtsbezeichnung ist Staatsanwalt«, setzte er hinzu, »und über Sie ist verschärfte Untersuchungshaft verhängt, das heißt, daß Sie uns bitte folgen wollen, ohne Schwierigkeiten zu machen, und daß Sie ab sofort von jeglicher Umwelt getrennt sind.«
»Warum?«
»Das eröffne ich Ihnen gleich anschließend in meinem Dienstzimmer.«
Martin, der sich immer gegen Überraschungen gesichert hatte, wie er sie selbst zu bieten pflegte, begriff, daß ihm der Untergang drohte, da dieser Zugriff von unerwarteter Seite kam, zufällig, absichtlich oder fahrlässig, in einer Stunde, da die Sorge um die Mutter jede andere Überlegung lähmte.
»Meine Mutter ist schwer krank«, antwortete er, »ich möchte mich von ihr …«
»Bedaure«, erwiderte der Staatsanwalt.
»Du wirst mich nicht daran hindern!« entgegnete Martin zornig.
»Es täte mir leid, wenn ich es müßte«, sagte Rothauch und gab seinen Helfern einen Wink, den Verhafteten notfalls mit Gewalt festzuhalten.
Martins Augen nahmen Maß an Rothauch. Seine Fäuste sehnten sich nach dessen Gesicht, dem Gesicht eines Mannes, den er vergessen hatte, und er wußte, wie teuer er dieses Versäumnis der wilden Jahre, eines von vielen, bezahlen mußte.
»Ihre Frau Mutter verständigen wir«, sagte der Staatsanwalt. »Kommen Sie jetzt bitte mit.«
Martin hatte keine andere Wahl; er ließ sich von zwei Beamten in die Mitte nehmen und abführen, so perplex, daß er an Petra vorbeiging, ohne sie zu bemerken.
»Martin …!« rief sie.
Er blieb stehen, sah ihr erschrockenes tapferes Lächeln und bedeutete ihr mit den Augen, ins Haus zu gehen und sich um Maman zu kümmern.
Petra wurde von Rothauch empfangen und zum Stillschweigen ermahnt. Ein weiterer Beamter nahm sich das Personal vor.
»Wollen Sie zur Mutter des Verhafteten gehen?« fragte Krawuttke.
»Das«, antwortete der Staatsanwalt, »überlasse ich Ihnen. Sie haben in diesen Dingen die größere Erfahrung.«
Der Kriminalkommissar brauchte fünf Minuten. Als er zurückkam, wirkte sein stupides Gesicht verlegen. »Erledigt«, meldete er Rothauch und fuhr mit ihm im Wagen zum Justizpalast.
»War wohl schlimm?« fragte der Staatsanwalt.
»Manchmal finde ich meinen Beruf wirklich zum Kotzen«, antwortete Krawuttke grimmig.
Rothauch ließ nicht erkennen, was ihm sein Beruf mitunter abverlangte, denn er zelebrierte Ritts Vernehmung mit bürokratischer Umständlichkeit, stellte Personalien fest, die er längst kannte, und machte den Festgenommenen mit dem Verdacht vertraut, der den Haftbefehl ausgelöst hatte. Martin ließ alles wortlos über sich ergehen, nur einen Teil erfassend, da seine Gedanken immer wieder ins Krankenzimmer zurückliefen.
»Das also sind die Indizien«, erklärte der Staatsanwalt abschließend, »nun würde ich gerne hören, wie Sie sie entkräften wollen.«
Martin betrachtete ihn angewidert, verächtlich. »Du bist dir doch darüber im klaren«, sagte er, »daß du mich ganz vernichten mußt, nicht nur halb.«
»Ich bat Sie schon einmal, mich mit ,Sie' anzusprechen«, erwiderte Rothauch.
»Warum?« fragte Martin. »Sollen Dritte nicht wissen, wie gut wir uns kennen?«
»Ich habe bereits meiner Behörde mitgeteilt, daß wir einmal Mitschüler waren«, entgegnete der Staatsanwalt, »man ist der Auffassung, daß dieser Zufall wohl nicht die Objektivität …«
»Ich möchte mit meinem Anwalt sprechen«, unterbrach ihn Martin.
»In nächster
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