Die wilden Jahre
Herr Doktor Schiele, fünf«, verbesserte sich der Zeuge, »aber Sie können ja bis – ich glaube, bis zu einer Million …«
»Danke«, unterband Schiele weitere Ausführungen und lenkte die Frage auf sein Verhältnis zu dem Firmenchef; durch die Antworten erschien Ritts Einfluß auf seinen Konzern immer kleiner, Schieles Tätigkeit immer größer.
Rothauch folgte den Aussagen aufmerksam, erleichtert, wiewohl er den Verteidiger fürchtete; er ließ ihn nicht aus den Augen, diesen Millionär und Junggesellen, dessen Stimme so wenig die Gabe hatte, sich Freunde zu machen, wie sein Gesicht. Er fixierte seinen Gegenspieler, dessen grüne Augen die Spuren einer vergifteten Galle als gelbe Ränder aufwiesen.
»Aber Herr Doktor Schiele«, der Staatsanwalt erhob sich, »wenn Sie beweisen möchten, daß sich Herr Ritt in letzter Zeit wenig um seinen Betrieb kümmerte, bin ich Ihnen gern behilflich.« Er wühlte in seinen Unterlagen und stellte fest, daß sich der Beschuldigte in diesem Jahr über hundertfünfzig und im Vorjahr über zweihundert Tage im Ausland aufgehalten habe.
»Eine Toleranz von zehn bis vierzehn Tagen wäre denkbar«, setzte Rothauch mit einem zufriedenen Lächeln über seine gründliche Arbeit hinzu. »Hier sind wir ausnahmsweise völlig einer Meinung, Herr Rechtsanwalt, nur«, stieß er zu, »kann ich Ihre Taktik nicht verstehen. Zuerst behaupten Sie, Herr Ritt erlebe einen geschäftlichen Zusammenbruch durch den Haftbefehl, dann führen Sie uns vor, wie wenig er in seinem eigenen Hause benötigt wird.«
Auch der Vorsitzende begriff nicht, wohin der Verteidiger zielte. Landgerichtsdirektor Erdmann, seinem Aussehen nach ein Künstler, seinem Ruf nach ein Könner, kannte die wirtschaftlichen Hintergründe dieses Falles und wußte sehr wohl, daß die Schädigung des Beschuldigten, falls der Haftbefehl fortbestünde, in keinem Verhältnis zu der Strafe stehen würde, die ihn erwartete, wenn er in der Hauptverhandlung überführt würde. Solche Erwägungen sollten nach Meinung dieses Vorsitzenden vor der Verhaftung abgewogen werden; hatte aber ein übereifriger Staatsanwalt den Gang der Maschine eingeschaltet, so blieb dem Richter aus formalen Gründen keine andere Wahl mehr.
»Halten Sie es für nötig, auch noch den zweiten Zeugen zu hören?« fragte der Vorsitzende.
»Ich bitte darum – es dauert nur wenige Minuten«, antwortete der Rechtsanwalt. »Ich möchte hier nur Ermittlungen nachholen, die der Herr Staatsanwalt unterließ, da er von vornherein nur einen Täter sehen wollte.«
»Lassen Sie diese Unterstellungen!« rief Rothauch erregt.
»Lassen Sie mich meine Behauptungen beweisen«, entgegnete der Verteidiger.
»Was soll das, meine Herren«, tadelte der Vorsitzende; dann genehmigte er als nächsten Zeugen den Hauptbuchhalter der Ritt-AG.
»Ich habe Sie gestern gebeten«, begann Schiele, »einige Belege herauszusuchen. Ich nehme an, Sie haben Sie bei sich.«
»Jawohl, Herr Doktor«, entgegnete der Zeuge; er überreichte Unterlagen, in die Schiele nur einen raschen Blick warf.
»Es handelt sich um Buchungsbelege«, wandte sich der Verteidiger an die Richter, »bis zu fünfzigtausend Mark.« Jeder von ihnen gebe den Zahlungsgrund so unklar an, daß er als Bestechungsgeld verwandt sein könnte, schloß Schiele.
»Das sind mir ja saubere Geschäftsmethoden!« rief Rothauch.
Ohne Erwiderung übergab Schiele den Richtern die Beweisstücke, mit der Feststellung, sie fielen ausschließlich in den Zeitraum der Tat. »Hat der Herr Staatsanwalt«, fragte er dann den Zeugen, »diese Belege jemals verlangt?«
»Nein«, antwortete der Hauptbuchhalter.
»Hat der Herr Staatsanwalt jemals über die Reisekostenabrechnungen Ermittlungen angestellt?«
»Nein.«
»Wissen Sie zufällig, wer in der fraglichen Zeit in Bonn war?«
»Ja«, antwortete der Zeuge zögernd, »Sie, Herr Doktor Schiele.«
Unbeteiligt, kalt, ohne Emotionen, betrachtete Schiele Rothauch.
»Zweimal, Herr Staatsanwalt«, erklärte er, »war ich dort, um bei Abgeordneten des wirtschaftsrechtlichen Ausschusses zu ventilieren, wie man die geplante Lex Ritt zu Fall bringen könnte …«
»Die Namen der Abgeordneten!« fing sich Rothauch.
»Würde ich nennen«, versetzte Schiele, »falls ich als Zeuge auftreten müßte.«
Es sei an der Zeit, warf der Vorsitzende mit sonorer Stimme ein, daß es nunmehr geschähe.
Schiele bat um Aufschub seiner Entscheidung, bis Guido Brenner vernommen sei.
»Herr Brenner?« fragte der
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