Die Wildnis
Beine zurückkehrte. Sie hätten ihnund den Wolf schon längst erwischen können, aber scheinbar tat sich ihm hier eine Gelegenheit auf – die Gelegenheit abzuhauen und Hilfe zu holen. Der Mann in Dawson hatte gesagt, dass die kanadischen Mounties in diesen ewigen Weiten des Nordens patrouillierten. Vielleicht konnte er ja abhauen und einen finden, hierherbringen, und vielleicht …
Die Nackenhaare des Wolfs stellten sich auf, er blickte zwischen Jack und dem Wald hin und her. Er trottete wieder zu den Zelten zurück … nahm dann eine der Zeltklappen zwischen die Zähne und zog daran.
»Nein!«, rief Jack lauter als beabsichtigt. Niemand rührte sich, der Wolf ließ die Klappe los und starrte ihn an. Ich kann abhauen , dachte Jack. Ich kann ihm so leicht aus dem Lager folgen, wie er hereinspaziert ist, und sobald ich abgehauen bin, kann ich den anderen helfen. Hilfe holen. In dem Moment, da er diese Chance gegen die Wahrscheinlichkeit abwägte, Williams Bande jemals überwältigen zu können – egal, wie gut sie sie beobachteten, wie viel sie über sie wüssten –, war ihm klar, es gab kein andere Wahl.
Außerdem wäre das nicht das erste Mal, dass der Wolf ihm das Leben gerettet hatte.
Sobald ich das Lager verlasse, wird er weg sein, verstand er. Er wird wieder dorthin verschwinden, woher er auch gekommen ist. Leise und zügig ging Jack los, vorbei an zwei Zelten, in denen er die Männer schnarchen hören konnte. Der Wolf stand vor ihm, strahlend schön in seinem vom Licht der Sterne funkelnden Pelz. Er folgte ihm, und während er durchs Gras in den Wald ging, erwartete er jeden Augenblick den Peitschenschlag eines Schusses und eine Kugel zwischen den Schulterblättern. Doch es passierte nichts.
Der Wolf blieb nicht stehen. Er führte ihn den Hang hinauf, aus dem Tal in die Wildnis, die dahinter lag. Doch Jacks Freude an der Freiheit währte nicht lang.
Wenige Minuten, nachdem er den Wald betreten hatte, merkte er, dass er verfolgt wurde.
Und wenige Minuten danach merkte er, dass das, was auch immer dort durch die Dunkelheit pirschte, nicht einmal annähernd menschlich war.
Er konnte es riechen: fauliges, verwesendes Fleisch, als wenn die Gedärme nach außen gestülpt wären. Es verfolgte ihn, er drehte sich um, um dem Ding ins Gesicht zu sehen. Doch egal, wie schnell er sich drehte, es war immer hinter ihm. Es machte kein Geräusch, war aber immer da. Jack rannte. Der Wolf lief ihm voraus, und immer, wenn er befürchtete, er würde ihn abhängen, verlangsamte der Wolf seinen Schritt, damit er aufholen konnte. Keine Sekunde glaubte er, dass das Ding, das ihn verfolgte, einer von Williams Männern wäre. In dem Fall wäre er stehengeblieben, um zu kämpfen. Doch dieses Ding verbarg sein Gesicht vor ihm und umschwirrte ihn wie sein eigenes Echo. Und Jack rannte.
Der Hang war steil, doch er grub Hände und Füße in die weiche Erde und schleppte sich empor. Der Wolf war dicht vor ihm, so nah, dass er ihn wieder riechen konnte, und als er sich umsah und aus dem Augenwinkel eine flüchtige Bewegung wahrnahm, gab der Wolf ein trauriges, leises Heulen von sich, als wäre Jack schon tot.
Tief im Tal unter sich sah er die Glut des Lagerfeuers.
Der Hang wurde etwas flacher, Jack kam schneller voran. Sein Verfolger war so dicht an ihm dran, dass er vermutlich geschrien hätte, wenn der Wolf nicht bei ihm gewesen wäre.Er konnte den üblen Gestank riechen, glaubte fast schon zu spüren, wie er bei jedem Baum und in jedem Schatten, der mit seinem verschmolz, nach ihm griff. Er sah sich wieder um, wieder verschwand das Ding, das ihn verfolgte, außer Sicht. Einen Moment lang blieb er stehen, sah sich nach links und rechts um, durch die Äste zu den Sternen hoch und auf den Schlamm zu seinen Füßen hinab. Und immer noch blieb sein Verfolger unsichtbar.
Im Lager war ich sicher!, dachte er. Menschen und Feuer um mich herum, dort war ich sicher!
Dieses Ding, was auch immer es war, spielte mit ihm. Es hätte jeden Augenblick zuschlagen und ihn töten können, wenn es gewollt hätte.
Jack schrie. Seine Stimme hallte über den Flusslauf, ein wortloser Schrei aus Wut, Furcht und Verzweiflung. Welche Albträume werde ich in den Köpfen dieser schlafenden Männer säen?, dachte er. Dann erschien sein eigener Albtraum vor ihm.
Zuerst glaubte er, es wäre sicher ein Traum, dass er bestimmt schlafen würde. In dem Fall wäre es der lebensechteste Traum aller Zeiten. Aber er würde bald aufwachen, grün und blau von den
Weitere Kostenlose Bücher