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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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Schlägen und zitternd vor Angst wegen seinem Albtraum. Dann würde er wieder zum Fluss gehen und weiter nach Gold schürfen. Er fand diese Vorstellung irgendwie tröstlich, denn da waren die Gefahren zumindest vertraut und abwägbar: menschliche Grausamkeit. Doch hier im dunklen Wald stand eine völlig unbekannte Gefahr vor ihm und starrte ihn mit Augen an, die ihm allzu vertraut waren. Die Gefahr war völlig unbekannt.
    Er starrte sich selbst ins Gesicht. Er war hungrig, schwachund ausgezehrt, seine Haut war so dünn, dass sie fast durchsichtig war, und er hatte Lücken in seinem blutigen Zahnfleisch. Von seiner schlaffen Kopfhaut lösten sich die Haare büschelweise , Hals und Backen hingen ihm wie Säcke herab. Und Jack Londons Augen – denn es waren seine Augen, in die er sah – waren älter und dunkler, als er es je für möglich gehalten hatte. Es war das Gesicht eines Mannes, der in den Abgrund der Hölle geblickt und den Wahnsinn mit zurückgebracht hatte.
    Der Wendigo , dachte Jack erstaunt und erschreckt, und im selben Moment biss ihm der Wolf ins Fußgelenk. Er schrie und stürzte, und als er wieder aufsah, war das Ding weg. Er erhaschte einen Blick auf etwas weiter weg, das sich bergab aufs Lager zubewegte und dabei größer und größer wurde, bis es seine wahre, ungeheuerliche Größe erreicht hatte. Das Unterholz raschelte im Vorbeilaufen. Baumstämme knickten.
    Jack wusste, was das Ding vorhatte. Jeder im Lager, auch …
    »Nein«, sagte er. »Merritt! Nein! «
    Jack rannte, diesmal bergab. Er hatte keinen Schimmer, was er dort unten anstellen sollte, was er tat, war nicht wirklich logisch, aber er wusste, dass er Merritt nicht im Stich lassen konnte. Nicht mit diesem … diesem …
    Wieso hat mich der Wendigo verschont?, fragte er sich.
    Wieder heulte der Wolf hinter ihm. Jack hörte ihn hinterherjagen, und diesmal wusste er, was kam. Er hatte ihm das Leben gerettet, ihn vom Lager weggezerrt, wo er sicher gestorben wäre … aber er hatte nicht geahnt, wie nah der Tod wirklich war.
    »Nein!«, rief er, seine Stimme bebte mit dem Aufprall seiner Füße. »Nicht Merritt!« Er stürzte den Hang nach unten durchden Wald, der nur schwach vom Mondlicht erhellt wurde. Er hätte jeden Augenblick über einen Stein stolpern und sich das Bein brechen oder gegen einen Baum knallen und sich den Schädel spalten können. Doch der Wolf war hinter ihm, und sein Schutzgeist wachte über ihn. Obwohl er sich im Moment von ihm abgewandt hatte, vertraute er seinem Einfluss immer noch.
    Das Ungeheuer bahnte sich seinen Weg zwischen den Bäumen vor ihm, war aber schon weit weg, viel weiter den Hang hinunter. Es verschwand, als er blinzelte, und einen Moment später spürte er, wie eine schwere Last auf seinem Rücken landete und ihn zu Boden warf. Der Wolf wälzte sich am Boden auf ihn drauf und drückte ihn nieder. Jack schlug um sich und wehrte sich, irgendwie schaffte er es, sich aufzurappeln und weiterzulaufen, auf den Waldrand zu, wo die Grasebene zum Lager führte.
    Der erste Schrei stieg auf. Panisch, entsetzt und von einem schrecklichen nassen reißenden Geräusch abgewürgt.
    »Nein!«, schrie Jack.
    Wieder drückte ihn der Wolf zu Boden, diesmal war sein Gewicht zuviel. Der Wolf saß auf ihm drauf, und Jack musste hilflos zusehen, wie das Massaker begann. Die Bäume verstellten ihm teilweise den Blick, und dafür war er dankbar.
    Der Mond verschwand wieder hinter den Wolken, das Lagerfeuer erlosch, da es von irgendetwas ausgestampft wurde, das durch das Lager stürmte. Einen Moment lang tanzten Funken und Flammen durch die Nacht, einige davon wurden vom Wind erfasst und bis zum Fluss geweht.
    Der Schatten schoss im Lager hin und her, er war extrem schnell für etwas so Riesiges.
    Schüsse fielen, erst vereinzelt und dann schnelle Salven von überall her. Jedes Mündungsfeuer erhellte den Schatten auf eine andere Art, aus einem anderen Winkel, einige von ihnen zusammen enthüllten im Aufblitzen eine schwer zu erkennende Gestalt, die im Lager umherpolterte. Sie war riesig, mit weißem Pelz, schwarzem Rachen und blutigen Klauen, wie die Krummdolche aus dem Orient.
    Während und zwischen den Schüssen erfüllten die unablässigen Todesschreie sterbender Männer die Luft. Manche schrien nur kurz, ehe ihre Stimmen verklangen. Andere hörten gar nicht mehr auf zu schreien, ihre Hilferufe wurden vom Geräusch zerbrechender Knochen und zerreißenden Fleischs unterbrochen.
    Die Gestalt bewegte sich hierhin und dorthin

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