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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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gleiten und fiel in den Schlamm.
    Jack ließ seinen eigenen Rucksack fallen und eilte Shepard zur Hilfe.
    »Was hast du, John?«, fragte er und packte den Mann am Ellbogen. »Das wird schon wieder, versuch tief durchzuatmen.«
    Shepard zitterte, seine Haut fühlte sich heiß an, Blut befleckte seine Lippen und sein Kinn. Seit Jack ihn kannte, war er schon immer krank gewesen, aber dermaßen gebrechlich hatte er den Alten noch nie gesehen.
    »John«, setzte er wieder sanft an.
    John nickte und atmete mehrmals lang und tief ein, um sich zu beruhigen. Er starrte weiter nach Osten, japste und hustete wieder, das Wasser stand ihm in den Augen. Immer noch vornübergebeugt, die Hände auf den Knien, wies er mit dem Kopf in eine Richtung.
    »Ist er das, mein Junge? Ist das der Pass?«
    Jack wandte sich um und sah, dass der Dunst sich gelichtet hatte, sodass man nun die nächstgelegene Bergkette erkennen konnte. Es war zwar August, aber dies war Alaska. Weiße Eiswände ragten wie eine unwirtliche Traumlandschaft ewigen Winters empor. Die Lücke im Eis, die von hier aus nur als Schatten erkennbar war, war der Chilkoot-Pass. DerWeg nach Dawson City begann dort am Fuße dieser eisigen Felswände.
    Selbst aus dieser Entfernung konnte Jack die dunkle Schlangenlinie aus Männern und Pferden ausfindig machen, die sich den Chilkoot-Trail zum lebensfeindlichen Pass hinaufkämpften – alles Männer, die von Gold träumten, sowie die Tlingit-Indianer, die am Transport der Landstürmer und ihrer Ausrüstung übers Gebirge ein kleines Vermögen verdienten.
    Shepard fing wieder an zu husten. Als er sich die Lippen abwischte, sah Jack diesmal einen größeren Blutfleck.
    Das bedeutete nichts Gutes. Dunkle Gedanken voller Frust und Ärger kamen in Jack hoch, doch er schob sie schnell beiseite. Sie hatten eine Abmachung, sie beide, und Jack London hielt immer sein Wort.
    Er legte Shepard eine Hand auf die Schulter. »Ich helfe dir jeden Schritt des Weges. Ich bring dich dahin, so wahr mir Gott helfe, oder wir teilen uns ein eisiges Grab. Und da ich nicht vorhabe zu sterben, heißt das, dass wir beide im Frühjahr unser Revier am Klondike abstecken und uns einen Haufen Gold holen werden.«
    Endlich konnte Shepard wieder normal atmen. Er schob Jacks Hand sanft zurück.
    »Ich bin ein Narr gewesen«, sagte er mit einem Zorn, der offenbar ihm selber galt. »Du sollst nicht auch noch einer sein.«
    »John«, sagte Jack. »Du hast es doch schon so weit geschafft.«
    »Ja, und jetzt muss ich es noch so weit schaffen.« Er sah mit weit aufgerissenen Augen auf den Pass. Und Jack konnte erkennen, wie sich Johns Gesichtsausdruck von Furcht zu Resignation, Trauer und Bedauern wandelte.
    Shepard schüttelte Jacks Hand ab und richtete sich langsam auf. Er schulterte seinen Rucksack und holte tief Luft. Schließlich drehte er den eisigen Bergen den Rücken zu.
    »Ich muss zurück zum Strand, bevor die Umatilla ablegt«, stellte Shepard fest. »Ich richte Eliza und deiner Mutter deine Grüße aus.«
    Jack schwieg. Shepard würde jetzt offenbar keinen Widerspruch dulden.
    »Ich habe ziemlich viel in diese Reise investiert«, fuhr der alte Haudegen fort. »Ich meine mehr als nur Geld, verstehst du? Alle meine Wünsche und Träume lasse ich hier bei dir zurück und erwarte, dass du sie mit nach Dawson und noch weiter trägst. Lass mich nicht hängen, Junge.«
    Jack schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht.«
    »Das will ich hoffen«, meinte Shepard. Und dann ging er, stapfte wieder durch den halbgefrorenen Schlamm Richtung Ufer und ließ Jack mit all ihrer Ausrüstung und Entschlossenheit für zwei zurück.
    Jack blickte ihm hinterher und wünschte ihm eine gesunde Heimreise, damit Eliza nicht trauern musste. Der Gedanke, alleine weiterzureisen, bekümmerte ihn kaum, denn im Leben war er bisher meistens allein unterwegs gewesen, auch wenn er von anderen umgeben war, die jeweils ihre eigenen Ziele verfolgten.
    Shepard ging zum Stadtrand und verschwand den Weg zum Strand hinab, ohne sich umzusehen. Sobald er verschwunden war, machte sich ein riesiges Grinsen auf Jacks Gesicht breit. Er spürte eine merkwürdige Welle der Begeisterung in sich aufsteigen. Nun, da er von seinen Sorgen und Verpflichtungen gegenüber Shepard befreit war – und ja, von den Schuldgefühlen,weil er den Alten mitgeschleift hatte –, fühlte er sich selbstbewusster denn je auf seinem eingeschlagenen Weg.
    Er drehte sich um und sah zum Nebel des Chilkoot-Passes hoch. Er wurde fast

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